1858 -
Weimar
: Böhlau
- Autor: Zeiß, Gustav
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Geschlecht (WdK): Jungen
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mit demselben beginnt in Frankreich der Einfluß deutscher Philosophie
und deutscher Dichtkunst.
Andre Chenier (1762— 1794) gehört durch die Wirkung seiner
Gedichte erst der Restauration an. Er suchte die Entfesselung der fran-
zösischen Literatur vom Regelzwang vermittelst des Griechenthumß zu er-
reichen und führte die griechische Idealität in die französische Literatur
ein. Er ahmte nur den Geist der Griechen nach, wie Goethe und
Schiller. Paul Louis Courier (1773— 1825) ist nicht Dichter, son-
dern politischer Schriftsteller. Er hatte sich durch ein ernstes, tief ein-
dringendes Studium der alten Griechen eine gediegene Bildung erwor-
den und ist an Kraft und Glanz des Stils von keinem Franzosen über-
troffen worden. Seine politischen Schriften, in denen er den reactionären
bourbonischen Bestrebungen entgegentrat, machten einen mächtigen Ein-
druck. Auch war Courier bemüht, aus der französischen Literatur das
Rhetorische zu verbannen, indem er die Franzosen theils auf den wahren
Geist der Griechen aufmerksam machte, theils zu der Natürlichkeit und
Gediegenheit älterer französischer Schriftsteller zurückzuleiten suchte.
Jean Pierre Beranger (geb. 1780) machte in seiner Bescheidenheit
nicht einmal Anspruch auf den Titel eines Dichters, sondern begnügte
sich, da er nur Liederchen gedichtet hat, mit der hergebrachten Venen-
nung eines Chansonnier. Und doch ist er von größerem Einfluß auf
seine Nation gewesen, als irgend einer seiner genialsten Zeitgenossen;
denn er hat das Geheimniß ergründet, alle Herzen und alle Stände zu
gewinnen. Jedes echte Gefühl, jede großmüthige Gesinnung, Wohlwol-
len, Duldung, Achtung vor den Gesetzen, wahre Gottesfurcht, zeigen
sich eben so offenbar in seinen Liedern, als sie tiefe Wurzel in seinem
Herzen geschlagen haben; aber Vaterlandsliebe ist diejenige Leidenschaft,
die ihn am glühendsten erfüllte, am mächtigsten beherrschte.
Alphonse de Prat (de Lamartine), aus einer aristokratischen Fa-
milie, ist 1790 zu Mayon geboren. Seine Meâitations poétiques
(1820) machten ihn plötzlich zum Lieblingsdichtec der feinen Gesellschaft.
Diese lyrischen Gedichte verkünden in melodischen Tönen die Klagen der
Liebe, die Bewunderung Gottes und der Natur und das unnennbare
Weh einer unklaren und nie befriedigten Sehnsucht. Dem Dichter er-
öffnete sich die diplomatische Laufbahn, eine reiche und schöne Englän-
derin, von seinen Gedickten entzückt, reichte ihm ihre Hand, und sein
Oheim Lamartine vermachte ihm mit seinem Namen ein glänzendes Ver-
mögen. Nach der Juli-Revolution siel der royalistische Dichter bei den
Wahlen durch und tröstete sich durch eine Reise in den Orient. Lamar-
tine wurde dann 1834 zum Abgeordneten gewählt und seine royalistische
Opposition gegen Ludwig Philipp hat allmälig die Farbe gewechselt und
hat sich in Verehrung der Revolution und in sentimentale Koketterie mit
socialistischen Träumereien verändert. Die „Geschichte der Girondisten"
machte ihren Verfasser zum volksthümlichsten Mann in Frankreich; die
Februar-Revolution (1848) hob ihn auf den Gipfel der Macht, aber
nach wenigen Monaten zeigte es sich, daß der Dichter kein Geschäfts-
mann war.
Victor Hugo, der Sohn eines kaiserlichen Obersten, ist 1802 in
Besancon geboren. Frühzeitig hat er sich als Dichter ausgezeichnet und