1827 -
Heidelberg
: Engelmann
- Autor: Schoppe, Amalia, Edgeworth, Maria
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
194
ten; ihre Augen waren von einem lebhaften Blau und ihr
Flachshaar wogte in Locken über ihre Schultern. So
klein sie auch war/ so konnte ich doch jede Falte in ihrem
Gewände unterscheiden/ ja/ jede azurblaue Ader/ die
unter ihrer schneeweißen Haut pulsirte. Als ich ihr so
mit Aufmerksamkeit zusah, stieg sie von dem Schmetter-
linge ab, den sie mit einem silbernen Zügel regierte/ und
ließ ihn nach Gefallen sich im Garten hcrumtunimeln; sie
selbst aber/ sich auf die Staubfäden einer Tulpe nieder-
lassend/ fing an / sie mit den schönsten Mischungen zu
überziehen. Sie nahm eine kleine Palette *) in ihren
Schooß/ die mit zahllosen verschiedenartigen Farben be-
deckt war/ und legte sie mit einem Pinsel/ der aus den
feinsten Haaren gemacht war/ die man sich nur denken
kann/ auf die Blätter der Tulpe, indem sie den Pinsel
dann und wann mit den Thautropfen benetzte, die noch
zerstreut an den Blättern hingen. Mir schien, als ich sie
ansah, daß ich nie in meinem Leben ein schöneres Gemäl-
de gesehen hatte, und letzt, als sie ihre Morgenarbeit
eben vollendet hatte, nahm sie eine Hand voll Saamen-
staub aus einer benachbarten Blume, und sing an, ihn
über die noch feuchte Tulpe zu streuen, um ihr den sam-
metartigen Glanz zu geben, der so besonders reizend ist.
Als ich meinen Kopf zufällig umwandte, wurde ich meine
jüngste Tochter gewahr, welche herbeylief und den Schmet-
terling greifen wollte, den sie gerade auf dem Punkt war,
zu sangen, als ihr Fuß ausglitt und sie durch ihren Fall
auf einmal die Blume und den kleinen hübschen Gegen-
stand ihrer Wünsche zerdrückte; selbst die Fee hatte nur
eine enge Zufluchtsstätte, indem sie sich unter eine Mu-
schel verbarg, die zufällig unter der Tulpe lag.
') Valette, ein kleines plattes , rundes, oder länglich rundes Stück
Holz, worauf die Maler die verschiedenen Farben habe», womit sie
die Gemälde malen. d. u c b e r s.