1878 -
Danzig
: Verlag und Druck von A. W. Kafemann
- Hrsg.: Krueger, Karl A., ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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Bilder aus Europa. — Rußland.
Ausstattung an. Darum finden wir in den finnischen Gesängen bei großer
Armut an Melodie eine Fülle geistreicher Gedanken und unmuthiger Wen-
dungen. Hier zeigt sich der Finne so recht als Nordländer; er ist ein
Mensch von geistiger Tiefe. Von allem Wissen liebt er das am meisten,
welches dem Nachdenken das reichste Feld bietet, die Geschichte, die
Mathematik. Diese Richtung des Geistes führt ihn auch oft zu religiösen
Grübeleien. Der Finne verleugnet am wenigsten des Nordländers Phlegma.
Eines schnellen Entschlusses wird er nur äußerst schwer fähig. Neben
dieser übergroßen Bedachtsamkeit steht aber eine andere Eigenschaft: die
äußerste vor keiner Schwierigkeit zurückschreckende Beharrlichkeit bei dem
einmal Begonnenen.
Im Innern des Landes hat sich großentheils alles seit Jahrhunder-
ten unverändert erhalten. An den Küsten herrscht aber mehr schwedisches
Wesen. Treten wir an einem der langen Winterabende, denn der Sommer
ist ja doch nur ein flüchtiger Gast, in die Behausung eines echt finnischen
Bauern. Von außen gleicht die Porte (Pirti) dem Blockhause in den
Rodungen Nordamerikas. Wände Und Dach sind mächtige Fichten- oder
Tannenstämme. Aus einer Oessnung des Daches steigt durch einen Rauch-
sang die Rauchsäule. Beim Eintreten umhüllt vorerst dichter Qualm den
Blick, dann zeigt sich uns ein seltsames Bild. Die Wände und der aus tannenen
Planken gezimmerte Fußboden sind schwarz; denn im Winter geht in der
Porte das Feuer nicht aus, das jetzt, genährt durch grobe Tannenscheite,
von dem in der Mitte angebrachten massiven Heerd hoch auflodert und,
seinen rothen Schein überall hinwerfend, die noch hier und da in den
Fugen des Gebälks eingeklemmten brennenden Späne überflüssig zu machen
scheint. Hier in diesem Raume, durch keine Zwischenwand getrennt, finden
wir den Hausherrn mit seiner ganzen Familie und mit den Haus-
thieren friedlich vereint. Die Frauen sind bei ihren Handarbeiten, am
schnurrenden Spinnrad oder am Backtrog, die Männer finden wir Schlitt-
schuhe schneidend und Schlitten zimmernd; die Kinderschaaren erblicken wir
herumspielend oder kriechend, und ihr Geschrei wechselt mit dem Gackern
der zahlreichen Hühnerfamilie ab. Endlich gleich bei der Thüre steht das
Pferd vor seiner Häckselkrippe. In solcher Porte lebt der Finne, soweit
die Geschichte, ja die Sage zurückreicht. Jetzt verschwindet sie allmälig;
an ihrer Stelle findet man oft die im Grunde nur wenig von ihr ver-
schiedene Tuba (Stube).
In den südlichen Küstengegenden und auf den Scheeren haben die
Bauernhäuser viel Aehnliches mit denen der Schweiz. Die überhängenden
Dachplanken sind zum Schutz gegen die Feuchtigkeit mit einer Mooslage
belegt und diese grünen Dächer gewähren einen eigenthümlichen, eben nicht
unangenehmen Anblick.
Im Südosten des Landes, in Karelien und besonders in den Kirch-
spielen am User des Lüdoga, da erblüht die heilige Blume der Dichtkunst
noch urkrästig. Hier giebt es vielleicht nicht ein Kirchspiel, das nicht unter
seinen Bewohnern einen oder mehrere Dichter zählte. Es sind schlichte
Bauern. Zuweilen machen sie ihre Verse aus dem Stegreif und singen sie
gleich bei einem Feste; oft auch arbeiten sie dieselben sorgsam aus. Sie
tragen sie in ihren Gedanken herum, des Morgens, wenn sie zur Arbeit
gehen, des Abends, wenn sie von des Tages Mühen ausruhen. ^st machen
mehrere zusammen ein Gedicht. Wenn in einem Kirchspiele zwei befreundete
Dichter wohnen, kommen sie zuweilen in ihren Mußestunden zusammen.
Dann setzen sie sich quer über eine Bank einander gegenüber, fassen sich
gegenseitig die Hände und nun beginnt vor einer zahlreich versammelten
Zuhörerschaft von Männern, Frauen und Kindern der Gesang. Der