1878 -
Danzig
: Verlag und Druck von A. W. Kafemann
- Hrsg.: Krueger, Karl A., ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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Silber aus Europa. — Großbritannien.
Unter den verschiedenen bewundernswerthen Dingen, die man in
Manchester sehen kann, nehmen ohne Zweifel die Baumwollenfabriken mit
ihren Arbetts- und Riaschinenwundern den ersten Rang ein; denn sie sind
es, um welche sich hier das Interesse aller Menschen dreht. Man berechnet
das Kapital, welches jetzt jährlich durch Baumwolle in England in Umsatz
gesetzt wird, über 400 Millionen Mark. Durch die Erfindungen, die in
Bezug aus die Baumwolle gemacht sind, erscheint der Mensch nun wie mit
tausend Händen gewappnet Viele jetzt errichtete Spinnräder haben 1100
Spindeln. Durch den Riesengeist der englischen Erfindungen, der in der
Baumwolle thätig war, sind neue Länder in europäische Interessen ge-
wissermaßen hineingesponnen, die wir früher mit gar keiner Waare ge-
winnen konnten. China und Ostindien, diese kunst- und waarenreichen
Länder, in denen Bauniwollenzeuae die gewöhnliche Kleidung sind, und die
uns sonst vorzugsweise baumwollene Waaren sandten, haben wir, die ur-
alte Waarenströmung aus ihrer Richtung werfend und sie umkehrend, mit
ihren eigenen Waffen angegriffen.
Man hat berechnet, daß in England nicht weniger als 1,200,000 Per-
sonen blos mit der Anfertigung von Baumwollenwaaren beschäftigt sind.
Jetzt denke man an die Hunderttausende, welche mit der Verhandlung, der
Transportirung und Verschiffung dieser Stoffe sich beschäftigen; man denke
an solche mit der Entwickelung der Baumwollenfabrikation schwindelnd
emporgestiegenen Städte, wie Liverpool; man denke an die Meere, die von
mit Baumwolle beladenen Schiffen wimmeln, an die Millionen, die in
Nordamerika als freie Pflanzer oder Neger, in Aegypten als Sklaven des
Pascha, in Brasilien als Sklaven der Plantagenbesitzer an der Erzeugung
der Baumwolle arbeiten und dadurch ihr Leben fristen; man denke ferner
an alle Nationen des Erdballs, die sammt und sonders jetzt zwei-, drei-,
zehnmal mehr Baumwollenstoffe tragen als früher und deren Sitten und
Gewohnheiten dadurch zum Theil wesentlich verändert worden sind, und
man erstaune über die Resultate, welche diese merkwürdige menschliche
Thätigkeit, deren Mittelpunkt Manchester ist, herbeigeführt hat.
Bis auf die neuesten Tage herab ist die Verbesserung der Spinn-
und Webemaschinen noch immer fortgegangen. Eine der letzten ist ein
Spindelwagen, der sich von selbst, d. h. durch die Maschinerie getrieben
ein- und auszieht. Bisher mußte dies Ein- und Ausziehen durch Menschen-
hände geschehen, und jetzt haben diese nun weiter gar nichts mehr beim
ganzen Spinnen zu thun, als das Einschütten und Vertheilen der rohen
Baumwolle und das Anknüpfen der zerrissenen Fäden. Sämmtliche andere
Verrichtungen, das Reinigen der Baumwolle, das Kämmen, das Spinnen,
das Zwirnen, das Aufrollen, das Abhaspeln u. s. w., werden sammt und
sonders von der Maschine übernommen. Es wäre vielleicht möglich, daß
man in Zukunft auch das Magazin für rohe Baumwolle und das zur Auf-
bewahrung der fertigen Baumwollenwaaren so mit der Fabrik m Ber-
bindung setzte, daß die letztere die rohe Baumwolle auf der einen Sette
von selbst, ohne Zuthun der Menschen, empfinge und auf der andern dre
fertige Baumwolle auch von selbst wieder packetweise in das Magazin
niederlegte. Vollkommen undenkbar aber scheint es, daß man je eine Aca-
schine so empfindlich machen könnte, daß das Reißen eines der kleinen
Baumwollenfäden einen Einfluß auf sie übte, und daß eine Vorrichtung
dabei getroffen werden könnte, die diese kleinen Unregelmäßigkeiten wieder
auszugleichen vermöchte. Das Anknüpfen der besagten Fäden scheint also
das einzige Geschäft zu fein, das immerfort in den Händen der Menschen
bleiben wird.