1878 -
Danzig
: Verlag und Druck von A. W. Kafemann
- Hrsg.: Krueger, Karl A., ,
- Sammlung: Geographieschulbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Völkerkunde?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Wein und Winzer im Rheingau.
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Seit tausend Jahren ist das rheingauer Leben gleichsam in Wein
getränkt, es ist „weingrün" geworden, wre die guten alten Fässer. Dies
schafft ihm seine Eigenthümlichkeit. Denn es grebt vielerlei Weinland in
Deutschland, aber keines, wo der Wein so eins und alles wäre, wie im
Rheingau. Hier zeigt sich's, wie „Land und Leute" zusammenhängen. Man
erzählt sich im Rheingau von Müttern, die ihren neugeborenen Kindern als
erste Nahrung ein Löffelchen guten alten Weines einschütteten, um ihnen
gleich in der Wiege den Stempe der Heimat auszuprägen. Ein tüchtiger
„Brenner", wie man am Rhein den vollendeten Zecher nennt, trinkt all-
täglich seine sieben Flaschen, wird steinalt dabei, ist sehr selten betrunken
und höchstens durch eine rothe Nase ausgezeichnet. Die Charakterköpfe der
gepichten Trinker, oer haarspaltenden Weingelehrten und Weinkenner, die
übrigens doch allesammt mit verbundenen Augen durch die bloße Zunge
noch nicht rothen Wein vom weißen unterscheiden können, der Wein-
propheten, der Probenfahrer, die von einer Weinversteigerung zur andern
bummeln, um sich an oen Proben umsonst satt zu trinken, finden sich wohl
nirgend anders in so frischer Ursprünglichkeit, als im Rheingau. Auch die
ganze Redeweise des Rheingauers ist gespickt mit Ausdrücken, die auf den
Weinbau zurückweisen. Man könnte ein kleines Wörterbuch mit denselben
füllen. Mehrere der landesüblichen schmückenden Beiwörter des Weines
sind ein Gedicht aus dem Volksmunde, in ein einziges Wort zusammen-
)armonisch edlen firnen
Veinistem „Chrysam",
alle
gleichwie
ist die neuere
nur dergestalt
gedrängt. So sagt man gar schön von einem recht
Trank: „es ist Musik in dem Wein", ein guter alter
ein geweihtes Salböl. Die „Blume", das „Bouquet" des Weines sind
aus ursprünglich örtlichen Ausdrücken bereits allgemein deutsche geworden.
An solch prächtigen poetischen Bezeichnungen für seinen Wein ist der Rhein-
gauer so reich, wie der Araber an dichterischen Beiwörtern für sein
edles Roß.
Aber nicht minderen Ueberfluß hat des Rheingauers Wortschatz an
spöttischen Geißelwörtern für den schlechten, aus der Art geschlagenen Wein,
in denen sich der rheinische Humor gar lustig spiegelt. Im Mittelalter ist
der schlechte, saure Wein, „davon die Quart nicht ganz drei Heller galt",
am Rhein „Rathmann" geheißen worden, aber wohl schwerlich aus dem
Grunde, den ein späterer Chronist angiebt, wenn er meint: „Denn wie viel
man dessen trank, ließ er doch den Mann bei Verstand,
Rathsleut verständig sein sollen". Malerisch anschaulich
rheingauische Bezeichnung als „Dreimännerwein", welcher
getrunken werden kann, daß zwei Männer den Trinker festhalten, Immit
ihm ein Dritter das edle Naß in die Kehle gießen könne. Musikalisch an-
schaulich klingt der dröhnende „Rambaß" für den groben, rohen Polterer
unter den Weinen. Des Dreimännerweines leiblicher Bruder ist der
„Strumpfwein", ein Gesell von so sauren Mienen, daß bei seinem bloßen
Anblick die größten Löcher in den Strümpfen sich von selber zusammen-
ziehen. Der leichte, flaue, milde, charakterlose Wein, der Philister unter
den Weinen, den man täglich wie Wasser trinkt, läuft als „Flöhpeter" mit.
Dem oberdeutschen „Batzenwein" entspricht der rheingauische „Groschen-
burger", als der hervorragendste Vertreter sämmtlicher „Kutscherweine".
Nicht minder unerschöpflich als die Poesie des Weinbergs, aber noch
mel weniger ergründet ist die Poesie des rheingauischen Kellers. Nicht
Schloß Johannisberg und Kloster Eberbach allein haben ihren Wein in
prachtvollen Kreuzgewölben lagern, wo der Doppelschein des gebrochenen
Tagesuchts und des Lampenschimmers so magisch an den Wölbungen wider-
strahlt, während schwer lastende Mauerpfeiler die riesig ausgereckten Schatten
Dazwischen werfen. Das wiederholt sich im Kleinen in Hunderten von alten
Krüger, Geographische Bilder. J2