1868 -
Braunschweig
: Schwetschke
- Autor: Blanc, Ludwig Gottfried, Lange, Henry
- Auflagennummer (WdK): 8
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrer- und Schülerbuch
- Schultypen (WdK): Landschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde, Europa
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): offen für alle
Il Frankreich.
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mildes Klima. Die Ufer des Meeres sind theils sandig und steinig, theils
felsig: so findet sich zwischen dem östlichen Arm der Rhone und dem groß-
ßen See oder Meerbusen von Berre eine 18 Hsmeilen große Ebene, la Crau
genannt, die ganz dicht mit abgerundeten Geschieben bedeckt ist und nur
Schafheerden ernährt. Dennoch ist die Provence mit einer großen Man-
nigfaltigkeit von Producten gesegnet, namentlich erzeugt sie außerordentlich
viel Mandeln und Obst; die Pflaumen von Brignolles, die getrocknet ver-
sendet werden, sind unter dem Namen Prünellen weltberühmt. In den
heißeren Gegenden wachsen einige edle Weinarten, viel Oliven, daher
die Berühmtheit des Provencer-Oels, treffliche Feigen und andere Süd-
früchte. Der Seidenbau ist eine Hauptbeschäftigung der Einwohner. Das
Meer und die Flüsse sind reich an Fischen, vorzüglich an Sardellen, Thun-
fischen u. s. w. Aus dem Rogen einiger Fischarten wird eine Art Caviar
bereitet, welcher hier und in Italien unter dem Namen Botargo bekannt
ist. Am Ausflusse der Rhône, wo sie sich in mehrere Arme theilt und
eine große sumpfige und ungesunde Delta-Insel, 1a Camargue (Camaria),
bildet, wird viel Rindvieh und vortreffliche Pferde gezogen. Die Proven-
çaieit, Provençaux, sind von lebhaftem, höchst reizbarem und heftigem
regnum
Eharalter; nirgend in Frankreich hat die Revolution so furchtbare Stürme
und Grausamkeiten veranlaßt als in dieser Provinz, namentlich in Avignon,
Toulon und Marseille. Etwa 114 Jahre v. Chr. ward diese Gegend von
den Römern unterjocht und nun vorzugsweise Provínola (erobertes Land),
daher Provence, genannt. Als das römische Reich im 5. Jahrhundert
durch germanische Völker zerstört wurde, ward die Provence zuerst eine
Vente der Weslgothen, die zugleich Spanien eroberten; diese wurden daraus
von den Burgundern verdrängt, bis endlich die Franken ihnen diese Pro-
vinz entrissen. Nach dem Tode Karls des Großen entstand hier ein zweites
burgundisches Reich, wovon Arles die Hauptstadt war (daher
Arelatense) und welches lange Zeit als Lehn unter der Oberherrschaft
der deutschen Kaiser stand, bis Karl von Anjou, Bruder Ludwigs Ix., die
Provence durch eine Heirath an sich brachte. Als endlich das Haus An-
jou 1481 ausstarb, ward die Provence mit dem französischen Reiche ver-
einigt. — Das Departement Alpes-Maritimes besteht aus der ehemaligen
sardinischen Provinz Nizza, dem ehemaligen Fürstenthum Monaco mit
Ausnahme des Stadtgebietes von Monaco, und dem 1860 von dem Var-
Departement abgetrennten Arrondissement Grasse. Dieses Departement
gehört also zuin größten Theil zu den 1860 von Italien an Frankreich ab-
getretenen Geländen. In diesem von der Natur begünstigten Lande blühte
schon frühzeitig wissenschaftliche Bildung auf. Die proven^alische Sprache,
noch jetzt mit Vorliebe von den Einwohnern gesprochen, hält, wie das Land
selbst, die ^Dritte zwischen Italien, Spanien und Frankreich, doch neigt sie
sich am meisten zu dem Spanischen. Schon im 12. Jahrhundert, als in
den übrigen Ländern Europas, mit Ausnahme der reinen germanischen, ein
höchst ungebildetes und rohes Gemisch von Sprachen herrschte, blühte die
Poesie in der Provence und im ganzen südlichen Frankreich, und die Trou-
badours, die ersten Dichter des neueren Europas, zogen als willkommene
und geehrte Gäste an den Höfen der Fürsten und auf den Schlössern des
Adels umher. Etwas später erst erwachte der Minnesang in Deutschland;