1869 -
Braunschweig
: Schwetschke
- Autor: Blanc, Ludwig Gottfried, Lange, Henry
- Auflagennummer (WdK): 8
- Sammlung: Realienbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrer- und Schülerbuch
- Schultypen (WdK): Landschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Europa
- Inhalt: Zeit: Geographie
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): offen für alle
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A. Europa.
von Genua vergrößert; der größte Theil vom oberen Italien, nämlich das
ehemalige Venetianische, Mantua und Mailand, bildeten für Oesterreich
das venetianisch-lombardische Königreich; das Haus Oesterreich-Este erhielt
Modena; die Erzherzogin Marie Louise Parma und Piacenza; die ehe-
malige Königin von Etrurien Lucca; der Erzherzog Ferdinand von Oester-
reich Toscana, und die Engländer behielten Malta und die Schutzherrschaft
iiber die Republik der ionischen Inseln. — Die Italiener hatten zwar seit
23 Jahren beinahe ununterbrochen die Leiden des Krieges erfahren; zugleich
war aber doch der kriegerische Sinn der Nation dadurch geweckt und sie
mit manchen besseren politischen Ideen und Einrichtungen bekannt geworden,
deren Genuß ihnen durch einige der zurückgekehrten alten Regierungen wie-
der entrissen wurde. Ant Schmerz mußten sie, die in der letzten Zeit die
Hoffnung geschöpft hatten, endlich einmal das lange getrennte und zerrissene
Italien zu einer politischen Einheit vereinigt zu sehen, ihr Vaterland wieder
in den alten Zustand zurücksinken und das alte Joch priesterlicher Unwissen-
heit und Herrschsucht wieder emporkommen sehen. Die Unzufriedenheit
gährte durch ganz Italien und brach zuerst am 3. Juli 1820 zu Nola im
Neapolitanischen aus, wo einige Truppen die spanische Constitution forderten
und so schnellen und zahlreichen Anhang fanden, daß diese Constitution schon
am 7. Juli vom Könige feierlich beschworen wurde*). Ein zusammenbe-
rufenes Parlament sollte dieser in der Eile gewählten Verfassung die
nöthigen Modificationeu und Festigkeit geben. Aber die zu Laibach zu
einem Congreß zusammengetretenen Monarchen verwarfen diese aller-
dings tumultuarisch entstandenen Einrichtungen; ein österreichisches Heer
rückte nach Neapel vor und zog, nachdem es einen unbegreiflich geringen
Widerstand gefunden, am 25. März 1821 in die Hauptstadt ein. Zn
gleicher Zeit brach am 10. März eine ähnliche Revolution zu Alessandria
im Sardinischen aus, der bis zum 13. beinahe alle Truppen beifielen; der
König aber, vermuthlich einen Meineid verabscheuend, mochte lieber der
Krone zu Gunsten seines Bruders entsagen, als die auch hier ausgerufene
spanische Verfassung annehmen. Aber selbst dieser Versuch ward durch
österreichische Hülfe in wenigen Wochen vereitelt. So war die Ruhe zwar
hergestellt, aber überall herrschte noch lauge von einem Ende der Halbinsel
bis zum anderen eine dumpfe Gähruug und eine Erbitterung der Gemüther,
welche mehr als einmal in verschiedenen Staaten in offenen, wenn auch
bald gedämpften Aufruhr ausbrach. Geheime Gesellschaften, unter dem
Namen Carbonari (Köhler), Calderari (Kesselschmiede) u. a. trieben
überall ihr Wesen, und es hätte nur eines Anstoßes von außen bedurft,
um fast ganz Italien gegen seine damaligen Regierungen in Aufstand zu
bringen. Am traurigsten lvar der Zustand der Dinge und die Lage der
Unterthanen im Königreich Neapel und im Herzogthum Modena, wo daher
auch 1831 eine Verschwörung allsbrach, welche den Herzog nöthigte, das
Land zll verlassen, wohin er nur durch die Gewalt östeneichischer Waffen
*) In der Proclamation, in welcher der König Ferdinand I. die Constitution
der Cortes annahm, sprach er: „Sollte ich gegen meinen Eid oder irgend einen Ar-
tikel der Constitution handeln, so soll man mir nicht gehorchen, und jede Handlung,
womit ich entgegentreten würde, soll ungültig und nichtig sein."