1844 -
Stuttgart
: Metzler
- Autor: Hugendubel, Christian Heinrich
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Gelehrtenschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
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204 Der Bund im Rütli.
freiungswerk vollführt und die Vögte mit ihrem Gefolge über die
Grenze gebracht werden sollten. Obgleich Viele von dem An-
schlage wußten, so wurde doch von jedem das Geheimniß treu
bewahrt; keiner war so verworfen, daß er für Gunst oder schnö-
den Lohn sein Vaterland an die Unterdrücker desselben verrathen
hätte.
Indessen ereignete sich eine Begebenheit, welche leicht hätte
die Landleute von Uri zu einem unbesonnenen Vorgreifen hin-
reißen können, wodurch das Ganze der Gefahr des Mißlingens
preisgegeben worden wäre. Sonntag den 18. Wintermonat
kam Wilhelm Tell, ein frommer, redlicher Landmann und be-
rühmter Armbrustschütze aus Bürglen, welcher auch zu dem
heimlichen Bunde gehörte und Walther Fürsts Schwiegersohn
war, nach Altdorf. Er hatte zu viel Selbstgefühl, um sich vor
einem leeren Hute zu beugen. Als ihn daher sein Weg an dem
Pfahle vorbeiführte, entblöste er sein Haupt nicht. Geßler be-
schied ihn des andern Tages vor sich, stellte ihn darüber zu Rede
und hörte nicht auf Tells Entschuldigung, sondern befahl ihm,
zur Strafe seines Vergehens einem seiner Kinder — es war ein
sechsjähriger Knabe — einen Apfel von dem Kopfe zu schießen.
Bitten und Flehen waren fruchtlos. Mit zitternder Hand ergreift
Tell die Armbrust; er legt an, aber seine Augen verdunkeln sich,
und er bittet den Vogt noch einmal, ihm den schrecklichen Schuß
zu erlassen. Als ihn aber Geßler hart anfährt iuib auf den
Fehlschuß das Leben des Schützen, aus die Weigerung aber sein
und seines Kindes Leben setzt: da faßt sich Tell wieder, legt im
Vertrauen aus Gott noch einmal an, drückt los und — trifft.
Mit einem dankbaren Blicke gen Himmel eilt jetzt Tell un-
ter dem freudigen Zurusen des Volks auf sein Söhnchen zu,
drückt es an die klopfende Brust und will sich nach Hause bege-
den. Allein des Vogtes Rachgier war durch die grausame Strafe
noch nicht befriedigt. Er hatte bemerkt, daß Tell noch einen
zweiten Pfeil im Koller trug, und wollte nun wissen, wozu Tell
diesen bestimmt habe. Tell gab zuerst eine ausweichende Ant-
wort und sagte: „Herr, das ist bei Schützen so gebräuchlich."