1843 -
Berlin
: Sander
- Autor: Riedel, Karl, Hillert, Adolf
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
Ii. Europa im Uebergango aus dem Mittelalter in die Neuzeit.
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keil des menschlichen Geistes hatte sich im religiösen und philosophi-
schen Gebiete vom eilften bis sechzehnten gesammelt, jetzt endlich war
der Augenblick gekommen, wo sie ein Resultat erzielen sollte. Alle
Mittel des Unterrichts waren im Schooße der Kirche selbst entstan-
den und gepflegt worden, und sollten nun ihre Früchte tragen. Es
waren Schulen gegründet worden, ans diesen Schulen waren Män-
ner hervorgegangen, die einige Kenntnisse besaßen und deren Zahl
wuchs von Tag zu Tag. Diese Männer wollten endlich selber und
selbstständig denken, denn sie fühlten sich stärker als jemals. Endlich
war die Zeit der Wiedergeburt, der Verjüngung des menschlichen
Geistes durch die Restauration des Alterthums herbeigerufen.
Alle diese verschiedenen Ursachen zusammengenommen flößten der
geistigen Welt zu Anfang des sechzenten Jahrhunderts eine thatkräf-
tige Regsamkeit, einen gebieterischen Drang nach Fortschritten, ein.
Die Lage der Macht, welche den menschlichen Geist leitete, der
geistlichen Macht, hatte sich gänzlich verändert, sie war in einen Zu-
stand der Erschlaffung und des Stehenbleibens verfallen. Das po-
litische Ansehen der Kirche, der römischen Kurie hatte sich vermindert,
der europäische Gesellschaftsverband war nicht mehr ihr Eigenthum,
er war in die Gewalt weltlicher Hände übergegangen. Nichts desto
weniger gab die geistliche Macht keinen einzigen von allen ihren An-
sprüchen auf, und minderte ihren äußeren Glanz, ihre äußere Wich-
tigkeit nicht im Mindesten. Es ist ihr ergangen, wie es den ver-
alteten Gewalten mehr als einmal ergangen ist. Die meisten Be-
schwerden wider sie waren jetzt fast nicht mehr gegründet. Jin sech-
zehnten Jahrhunderte verfuhr die römische Kurie nicht mehr tyrannisch,
die eigentlichen Mißbräuche waren weder zahlreicher noch schreiender
als zu anderen Zeiten. Nie vielleicht war die kirchliche Macht nach-
sichtiger, toleranter und geneigter gewesen, die Sachen ihren Gang
gehen lassen, wenn sie nur nicht selbst mit ins Spiel kam, wenn
man nur ihre bis jetzt behaupteten Rechte möglichst unangetastet ließ,
wenn man ihre Existenz nicht bedrohte und ihr den hergebrachten Tri-
but entrichtete. Sie hätte den menschlichen Geist gern in Frieden
gelassen, wenn dieser nur auch diese Rücksicht hätte nehmen wol-
len. Aber erst wenn die Regierungen in der öffentlichen Meinung
gesunken, wenn sie nicht mehr so stark sind, wenn sie weniger Unheil
anrichten, dann erst haben sie Angriffe zu bestehen, weil man sie
daun angreifen kann, vorher ging es nicht. Nach dem geistigen