1868 -
Mainz
: Kunze
- Autor: Stacke, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Mädchen
Vom westsä!. Frieden bis zur ersten französischen Revolution. 19»
kommen zweifelte. Man hielt sie einmal für todt, und der Matrose
stand schon bereit, die kleine Leiche dem Meere zu übergeben. Da
drückte die Mutter ihr Kind noch einmal an ihr Herz und fühlte, daß
noch Leben in ihm sei. Françoise wurde gerettet. Allein der Vater
starb, nachdem er sein ganzes Vermögen durchgebracht hatte, und da
die Mutter die Schulden ihres Mannes zu bezahlen sich außer Stand
sah, überließ sie dem Vornehmsten ihrer Gläubiger die elfjährige
Françoise als Unterpfand. Da Françoise hier in der evangelischen
Religion auferzogen wurde, fühlte sich die Mutter als eifrige Katholikin
darüber beunruhigt und wollte ihr Kind in die Messe führen. Fran-
ziska weigerte sich; da sprach die Mutter: „Du hast mich also nicht
lieb?" „„O ja"", entgegnete Franziska, „„allein meinen Gott habe
ich noch viel lieber."" Da sie demungeachtet mit zur Kirche gehen
mußte, hier aber dem Altare den Rücken kehrte, erhielt sie von der
Mutter eine Ohrfeige. Françoise bot ihr auch die andere Wange
dar und sprach: „Schlage nur zu, es ist schön für seine Religion zu
leiden." Eine Verwandte, Madame de Neuillant, übernahm hierauf die
Erziehung von Françoise und legte ihr, um das Kind zu demüthigen,
die härtesten Arbeiten auf; sie mußte dem Kutscher die Pferde striegeln
helfen, einer Bäuerin zuweilen die Haare auskämmen und die Hühner
füttern und warten. Darum pflegte sie später oft scherzend zu sagen:
„Mein Regiment hat früh auf dem Hühnerhofe angefangen." Von
der Frau von Neuilly kam die schöne Indianerin, wie man Françoise
häusig nannte, in das Kloster der Ursulinerinnen, wo sie zur katholischen
Kirche übertrat. Ihre Schönheit und Liebenswürdigkeit erregten allge-
meine Bewunderung; doch wies Françoise alle Bewerbungen von sich
und kehrte nach dem Ableben ihrer Mutter in das Haus ihrer Er-
zieherin zurück, welche sie nach wie vor hart hielt. Ihre traurige
Lage erregte das Mitleid des in der Nachbarschaft wohnenden Dichters
Scarron und bewog ihn, um die Hand der sechzehnjährigen Françoise
zu werben. Scarron war nicht reich und an allen Gliedern gelähmt;
allein seine Familie stand in hohem Ansehen, und sein Haus vereinigte
die größten Geister der Hauptstadt. Es dünkte der armen Waise an-
genehm, der Mittelpunkt einer so ausgewählten Gesellschaft zu werden,
und sie nahm den Antrag Scarrons unbedenklich an. Ihre Ehe war
glücklich, und Françoise erfüllte nicht nur gewissenhaft alle ihre Pstichten
als Hausfrau und Pflegerin des kranken Gatten, sondern erweiterte
auch ihre Kenntnisse auf bewundernswerthe Weise. Als aber ihr Mann
1660 starb, sank sie in die vorige Noth zurück, und schon war sie im
Begriffe als Erzieherin nach Portugal abzureisen, als ihr Frau von