1868 -
Mainz
: Kunze
- Autor: Stacke, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Mädchen
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Dritte Periode der neueren Geschichte.
Probe stellten. Die Februarrevolution 1848 zwang den König Louis
Philipp zur Abdankung und zur Flucht; er hatte zu Gunsten seines
Enkels, des Grasen von Paris, die Urkunde seiner Thronentsagung
unterzeichnet, und darum erfüllte die Herzogin als natürliche Vor-
münderin ihres Sohnes eine schwere Pflicht. Unter dem Geleite ihres
Schwagers, des Herzogs von Nemours, erschien sie mit ihren Söhnen
in der Deputirtenkammer und nahm vor der Rednerbühne Platz, um
die Erhebung des Grafen von Paris auf den französischen Thron
durchzusetzen. Allein das Eindringen bewaffneter Blouseumänner in
den Sitzungssaal, die von den Tribünen auf sie angeschlagenen Ge-
wehre, der Ruf nach Verkündigung der Republik machten es der Her-
zogin unmöglich, eine Anrede an die Versammlung zu halten. Sie
mußte fliehen; mit Mühe wurde sie in den Hof gebracht und von
da in das Invalidenhotel. Einige Tage später eilte sie über die
Grenze nach Ems. Hatte sie in den Zeiten des Glückes und des
' Ueberflusses die geistige Freiheit sich zu bewahren gewußt, so blieb sie
auch in diesen Tagen des Mangels und der Noth, als sie von Ort
zu Ort stüchtete, und es an allem fast Nothwendigen gebrach, fest
und unerschüttert, und nur darüber klagte sie, daß sie so vielen treuen
Dienern nicht mehr die alten Dienste zu lohnen im Stande sei. „Es
ist dieses in dem unermeßlichen Unglück, welches unsere Familie be-
troffen, das härteste nächst dem Gedanken an die Zukunft meiner
Kinder. Doch Gott, der so großes Leid über uns verhängt, wird auch
helfen und weiter führen."
Die Herzogin begab sich später von Ems nach Eisenach, um
dem Wohnsitze ihrer Verwandten in Weimar recht nahe zu sein. Mit
musterhafter Gewissenhaftigkeit, Weisheit und Liebe leitete sie hier die
Erziehung ihrer Söhne, den künftigen, großen Beruf des Grafen von
Paris fest im Auge behaltend. Es lag ihr am Herzen ihren Sohn
seinem französischen Vaterlande nicht zu entfremden, vielmehr ihn so
heranznbilden, daß, wenn ihm einmal noch die Lenkung der Geschicke
dieses schönen Landes beschieden wäre, dieselben in einer durchaus wür-
digen Hand lägen. Und sie hat ihre Aufgabe würdig erfüllt!
Durch den Tod Louis Philipps, durch Napoleons Erhebung auf
den französischen Thron, durch das uuerwartete Hinscheiden der Herzogin
von Nemours erfuhr sie neuen, tiefen Kummer. Schon längere Zeit
war ihre Gesundheit angegriffen; der wiederholte Aufenthalt in der
Schweiz und in Italien hatte sie nicht ganz wiederherzustellen ver-
mocht. Während ihrer letzten Krankheit hatte sie sich oft vergeblich
nach einem erquickenden ruhigen Schlafe gesehnt; endlich schien ihr