1867 -
Mainz
: Kunze
- Autor: Stacke, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Mädchen
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Vierte Periode des Mittelalters.
Die Frauen
gewinnen bet
Hofe
durch Anna
vonbretagne
eine einfluß-
reiche Stel-
lung.
trug, und zum großen Jubel ein zärtliches Lied auf die Neuvermählte
sang. Endlich erschien ein Kameel mit einem Sarazenen, welcher beim
Herumreiten allerlei ausländische Vögel aus einem Korbe zog und auf
die Tafel warf. Mau nannte dergleichen Schauspiele Entremets. Am
dritten Tage des Festes kam ein Thurm, aus dessen.fenstern 6 Bären
den Baß brummten, denen 12 Wölfe und Böcke mit Pfeifen und
Flöten und dann Esel folgten, die köstlich sangen. Dann tanzten die
Affen einen maurischen Tanz um den Thurm. Hiernach folgte ein Wall-
fisch, aus dem 12 wilde Männer sprangen und mit einander kämpften.
Wie die Straßburger Chronik erzählt, trugen Carl und Margaretha
goldene Kleider; auch war der Festsaal mit goldenen Tüchern behängen.
Das Essen wurde täglich auf 800 großen silbernen Platten aufge-
tragen^).
Die Veränderungen im Hofleben übten auch Einfluß auf die
Stellung des weiblichen Geschlechts. Früher waren die Frauen in
einer dem Manne mehr untergeordneten Stellung gewesen, wie das
ans manchen Gebräuchen ersichtlich ist (S. 165). Könige gingen ihren
Bräuten und Frauen nur bis an die Treppe oder das Thor entgegen,
wo diese niederknieten. Wollten die Frauen Etwas erbitten, so redeten
sie erst, wenn sie knieten. Sie redeten den König mit „Monseigneur“
an; die Frauen wurden nicht Madame, sondern Dame genannt. Erst
im 15. Jahrhundert wurde Madame die ehrende Bezeichnung einer
Rittersfrau; solche, deren Männer noch nicht den Ritterschlag empfangen
hatten, wurden Dainoiselles ober Denioiselles angeredet. Als Ludwig Xi.
als Dauphin 1456 bei Philipp von Burgund Schutz suchte, kamen
dessen Gemahlin und Schwiegertochter ihm bis aus äußerste Schloß-
thor entgegen und knieten vor ihm nieder. Philipp bot der Herzogin
den Arm, allein sie lehnte diese ihr nicht gebührende Ehre ab, führte
ihn in seine Gemächer und verbeugte sich tief, als sie sich von ihm ver-
abschiedete. Dies änderte sich vorzugsweise durch Anna von Bretagne,
die Gemahlin der französischen Könige, Carls Viii. und Ludwigs Xii.
Sie behielt zunächst die Einkünfte und Verwaltung ihres Erblandes für
sich und sah auf eine glänzende Hofhaltung, welche der ihres Gemahls
*) Uebrigens herrschte im Allgemeinen im 15. Jahrhundert bei allen Hoch-
zeiten eine verschwenderische Pracht und Ausgelassenheit. 1493 feierte der
Bäcker Veit Gundlinger zu Augsburg die Hochzeit seiner Tochter. An
60 Tischen speisten 720 Hochzeitsgäste; an jedem Tische saßen 12 Männer,
Junggesellen, Frauen oder Jungfrauen. Die Hochzeit dauerte 8 Tage,
es wurde so gegessen, getrunken, getanzt und geneckt, daß ain 7. Tage
schon Viele wie todt hinfielen-