1854 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Wangemann, Ludwig
- Sammlung: Fibeln vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Hilfsbuch
- Schultypen (WdK): Bürgerschule, Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
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ein Jahr das Schiff und so viel Geld und Nürnberger Waaren, als
möglich, und laßt mich nach der neuen Welt fahren; ihr wißt, der
alte Jansen war schon zweimal dort und versteht den Kram. Zwar der
alte Herr war auch immer ängstlich und meinte, es lasse sich ohne groß-
ßes Wagniß schon bei uns was gewinnen; aber das ist nun anders
geworden, drum muß man's anders treiben."
Da standen die beiden Herren aus und gingen lange im Zimmer
auf und ab und berathschlagten. Nachdem nun sedes Für und Wider
hinreichend erwogen worden, wie es verständigen Männern ziemt,
wurde beschlossen, daß Jansen reisen sollte. Vier Wochen später schritt
Herr van Steen in seinem Rathsherrngewande mit Jansen neben zwei
schwer bepackten Dienern hinter sich dem Hafen zu. Die den ganzen
Hafendamm bedeckende Menge Volks, die unter Musik und Jauchzen
der Zurüstung und Abfahrt des großen Handelsschiffes harrte, machte,
als Herr Gruit mit Jansen ankam, ehrerbietig Platz; denn der wackere
Mann war geliebt und geachtet von Alt und Jung, Vornehm und Ge-
ring. Einige Rathsherrn, Freunde der Beiden, traten freundlich grü-
ßend hinzu, und der ältere, ein Mann mit greisem Haare und Barte,
sprach: „Freund Hermann, Euer Schiff ist schwer bepackt und geladen;
Ihr habt doch nicht zu viel gewagt? Denn weit ist der Weg und ge-
fährlich die Fahrt, und unser Jansen ist eben auch keiner der Jüngsten
mehr." Herr Hermann zuckte die Achsel und sprach: „Der Jansen
hat'ö auf sich; ihm, seiner Treue, Kenntniß und Geschicklichkeit hab' ich
vertraut und Alles überlassen." Aber Jansen antwortete munter:
„Laßt's Euch nicht anfechten, ihr Herren! Es ist das dritte Mal,
daß ich die Fahrt mache, und aller guten Dinge siipd ja drei; drum
hoffe ich fest, wir sehen uns gesund und freudig wieder: wir haben ja
das Sprüchwort: „Gott verläßt keinen Deutschen," und den alten
Jansen nun schon einmal gar nicht; drum lebt wohl!"
Da donnerte der erste Signalschuß zur Abfahrt, und das Boot,
das ihn einnehmen sollte zur Ueberfahrt nach dem Schiffe, war eben
gelandet. Der ehrliche Jansen drückte seinem Herrn noch einmal kräf-
tig beide Hände, ein paar Thränen träufelten doch dem alten Knaben
in den grauen Bart, und er stieg ein. Die Musik ertönte lebhafter;
leicht hintanzend über die spiegelglatte Fläche, langte das Boot am
Schiffe an. Die Leiter ward herabgelassen, hinauf stieg Jansen, schnell
ward die Leiter zurückgezogen, eben so schnell ward der große Anker
aufgewnnden und das Boot befestigt; und nun donnerte der letzte Ka^
nonenlchnß zur Abfahrt^ alle Wimpel flaggten, und stolz flog das
Schiff dahin, alle Segel gebläht vom günstigen Winde; vom Verdeck
winkte noch einmal Jansen mit dem Tuche das letzte Lebewohl, und
bald war das Schiff dem Auge kaum mehr sichtbar. Die Menge ver-
lief sich, und die Herren schritten unter freundlichen Gesprächen ihren
Wohnungen zu.
Drei Vierteljahre waren seitdem verflossen, und kein Jansen kam
zurück, noch nirgend eine Nachricht von ihm; wohl aber hatten sich