1854 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Wangemann, Ludwig
- Sammlung: Fibeln vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Hilfsbuch
- Schultypen (WdK): Bürgerschule, Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Literatur
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Hamburg kaum sehen, so groß es auch ist. Naht man aber mit dem
Dampfschiffe, so taucht ein ungeheurer Mastenwald am rechten Elbufer
empor, die Lust ist voll wehender Wimpel aller Farben und Nationen,
dazwischen blähen sich ungeheure Segel auf und steigen schwarze Rauch-
wolken aus den Essen der Dampfschiffe. Im Hintergründe dieser Maste
schimmern die gewaltigen Kolosse der Speicher, glänzende Hotels, Comptoirs
und Bureaux, und wogt am Ufer eine zahllose geschäftige Menge Menschen
in allen Farben und Trachten aus und ab. Hier arbeiten sich Rollwagen
die Uferstraße hinauf, dazwischen jagen Droschken, Reiter, schreien Sack-
und Kofferträger, singen Matrosen, rufen Verkäufer ihre Waaren aus,
haschen Diebe nach Taschen und Portmonnaies, treiben sich müssige Zu-
schauer umher, und drängen sich Commis und Kaufherren hin und wieder
durch die auf- und abflutende Menge. Was die Erde Schönes, Kost-
bares und Genießbares trägt, das steht hier aufgestapelt in gewaltigen
Fässern, eisenbeschlagenen Kisten, mächtigen Rollen oder Körben. Waaren,
die Millionen werth sind, scheinen aus die Straße geworfen.
Außer den Menschen an dem aus mächtigen Quadern erbauten Kai
drängen sich auch Schiffe und Fahrzeuge aller Art durcheinander. Die
Einen wollen vom Ufer, lösen die mächtigen Hastketten und suchen sich
Bahn zu machen nach dem vollen Strome, Andere drängen heran nach
dem User oder nach den Kanälen, welche in die Stadt hineinführen,
wieder Andere suchen überhaupt eine bequemere Haltstelle oder steuern
nach dem Zollamte, und zwischen den gewaltigen Kolossen der Seeschiffe
schießen buntfarbige Gondeln oder leichte Fischerboote flüchtig hin und
wieder wie Seeschwalben. Zagend schaut ihnen der unkundige Binnen-
länder vom Ufer nach, denn jeden Augenblick fürchtet er, sie hier oder
dort anprallen und umschlagen zu sehen, aber siehe, sie wenden stets zur
rechten Zeit und entkommen der Gefahr.
Tagelang könnte man am Ufer stehen und dem geschäftigen Treiben
dort und dem aus der Elbe zusehen! Dort kommt ein schwerfälliger
Dreimaster mit den Schätzen Brasiliens, hier segelt ein schlanker Dampfer
nach dem Capland, ab, während heimkehrende Wallfischfänger und Ostin-
diensahrer von dem 14 Meilen entfernten Cuxhafen signalisirt werden.
Neben dem amerikanischen Kauffahrteischiff liegt das englisch-amerikanische
Postdampsschiff, vorüber an dem dänischen Kutter rauscht der griechische
Eindecker, hinter welchem das aus China kommende Frachtschiff ankert.
Welch Knarren der Haltseile, welch Klappern der Taue und Flattern der
Segel, welches Gemisch verschiedener Sprachen, Nationaltrachten, und da-
zwischen die Commandorufe der Capitäne, das langgezogene Taktlied der
an den Winden beschäftigten Matrosen ! Kehren doch jährlich über 3000
Schiffe in Hamburg ein, von denen 300 aus außereuropäischen Staaten
kommen, und besorgen 500 Kaufleute diesen Welthandel, indem sie jähr-
lich Millionen umsetzen in Kaffee, Rohzucker, Reis, Indigo, Pfeffer,
Baumwolle, Wein, Tabak, Thierhäuten, Schreibfedern, Korkstöpseln,
Lichtern, Pökelfleisch, Eisen- und Kupferwaaren, Silber und Seide, Lein-
wand und Seife, Nadeln, Zwirn und Kattun, denn jährlich wird für