1843 -
Potsdam
: Riegel
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Lesebuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
69
Wagen und Karren in der Mitte der Männer, und stritten, wie
von Thürmen herab, mit Lanzen und Speer gegen die Feinde.
Und als sie den unendlichen Jammer ihres Herzens in solcher
Weise umsonst zu mildern versucht hatten, da wandten sie die Ver-
zweiflung gegen sich selbst und gegen die Ihrigen, und suchten dem
Unglücke der Sklaverei zu entgehen durch jeglichen Tod. Sie er-
mordeten ihre Kinder, sie ermordeten sich selbst mit ihren Kindern.
Sie erstachen sich, erdrosselten sich und mit dem eigenen Haare; sie
erhenkten sich, ließen sich von Ochsen zertreten, von Wagen zermal-
men und schleifen von Pferden. Keine Todesart war zu gräßlich,
wenn nur die Knechtschaft vermieden wgrd. Und diejenigen allein,
Männer oder Weiber, geriethen in römische Gefangenschaft, denen
Zufall und Unglück unmöglich machten, dm Tod zu finden.
Die Menge der Gefallenen oder Gefangenen zu zählen, ist hier
so unnöthig, als es auch eine vergebliche Arbeit sein würde. Rö-
mische Schriftsteller haben sich bis zur Schamlosigkeit vergessen.
Florus giebt den Verlust der Cimbrer auf 60,000 an, und den
Verlust der Römer auf weniger als 300. Das Wesentliche ist
und bleibt: Die Cimbrer gingen zu Grunde vor den römischen
Waffen in der raudischen Ebene; der Krieg war geendigt; die Ti-
guriner, die zum Schutze der norischen Alpen zurückgeblieben wa-
ren, verschwanden, und setzten sich vielleicht in den Gebirgen der
Schweiz fest, wo niemand sie suchte. Marius hatte Rom von
der langen Angst befreiet; er feierte mit Catulus einen gemein-
schaftlichen Triumph, bei welchem der König Teutobach durch
Größe, Gestalt und Art mehr die Blicke auf sich zog, als alle
Siegeszeichen; Marius jedoch wurde als der eigentliche Retter,
als ein dritter Romulus, gepriesen und verherrlicht. Und gewiß,
hätte er nicht das Unglück gehabt, diese unendliche Feier zu über-
leben, er würde schön und groß für ewige Zeit in der Geschichte
glänzen. Die Cimbrer und Teutonen aber, obgleich sie von der
Erde vertilgt waren, hatten durch ihre Thaten ihren Namen so
tief in die Geschichte eingegrabcn, daß sie nimmermehr aus dem
Andenken der Menschen verschwunden sind, und daß dem deutschen
Volke bei dem Eintritte in seine geschichtliche Laufbahn kaum irgend
etwas hätte förderlicher sein können, als das Andenken an einen
solchen Untergang.
(Luden.)