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1. Für mittlere Klassen - S. 69

1868 - Halle : Buchh. des Waisenhauses
60 auf meinem weißen Seidenftrumpf am linken Bein. — „Hilf Himmel!" seufzt' ich bei mir; „was wird die große Gesellschaft sagen?" Die Thür des Zimmers geht auf. Ich steifer, hölzerner Bursch will mich gar gewandt und galant, zierlich und leichtfüßig stellen, hüpfe in den großen Saal hinein; mache Bücklinge hinten und vorn, kratze mit den Füßen links und rechts aus, sehe gar nicht, daß dicht vor mir eine Weibsperson steht, die im Begriff ist, eure Pastete zum Tisch hinzutragen; fahre ihr mit dem Kopf in den glücken, daß die kostbare Pastete von der Schüssel auf den lieben Erdboden führt, und so spaziere ich mit meinen Conrplimenten und Reverenzen blindlings vorwärts, — es war mir zu Muth, als stand' ich in einer Bataille vor dem Feind und sollte in's Feuer rücken. Welche Complimente die große Gesellschaft um nrich lierunr nrachte, weiß ich nicht; denn ich hatte noch nicht den Muth aufzusehen, sondern fuhr wie besessen mit Kratzfüßen, Bücklingen und gehorsamen Dienern um mich herum fort, bis "ein neues Unglück meiner Höflichkeit Ziel und Grenzen steckte. Ich war nämlich bei meinem eifrigen Complimentiren mit den Füßen bis zur Pastete avancirt, die noch da lag, weil sich die Magd von ihrem Schrecken noch lange nicht erholt hatte und mit starren Augen auf das Meisterwerk der Kochkunst am Boden hinblickte, ohne es auf- zunehmen. Da fährt bei einem neuen Eompliment mein tintebefleckter Fuß in die Pastete, — ich sah nichts; denn mir war vor Höflichkeit Alles blau vor den Augen geworden. Ich glitschte in dem Pastetenteige schmählicher, doch höchst natürlicher Weise aus, verliere mein persönliches und politi- sches Gleichgewicht und falle, so lang ich bin — und ich messe fünf Schuh sieben Zoll — auf die Erde, zum nicht geringen Schrecken und Gelächter einer ganzen, großen, ehrenwerthen Gesellschaft. Im Fallen riß ich noch zwei Stühle mit nieder, an denen ich mich halten wollte; und ein junges, artiges Frauenzimmer, das sich auf einem derselben vermuthlich niederlassen wollte, lag eben so schnell, als ihr Stuhl, neben mir am Boden. — O Himmel, und das war mein Bärbeli! Es erhob sich nun ein entsetzliches Zetergeschrei, und ich am Boden schrie auch; denn da ich neben mir an der Erde, außer zwei Stühlen, noch ein Frauenzimmer liegen sah, glaubte ich fest an ein starkes Erdbeben. Zum höchsten Glück war es kein Erdbeben, das diesen erbärmlichen Fall verursacht hatte, sondern nur, wie gesagt, eine Kälberpastete. ^ Wir standen auf. Der Vetter machte aus der ganzen Sache einen Spaß. Er aber hatte gut spaßen. Ich hätte weinen mögen und schäinte mich fast todt. Ich stellte mich an den Ofen und sagte kein Wort zu meiner Entschuldigung, sondern, weil Alles um mich herum lachte und kicherte, lacht' ich auch und sah nur verstohlen nach der zerschmetterten Kälberpastete. Man mußte sich endlich zu Tisch begeben. Der Herr Vetter war so galant, mich neben Bärbeli zu setzen. Ich wäre lieber neben einem feuer- speienden Berge gesessen, als neben diesem schönen, guten Kinde. Denn es ward mir wunderlich zu Muthe neben meiner künftigen Hochzeiterin. — ^ch sah die große Gesellschaft am Tische nur sehr flüchtig an.
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