1859 -
Hanover
: Rümpler
- Autor: Goedeke, Karl, Colshorn, Theodor
- Sammlung: Lesebuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
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sorget und fürchtet ihr seinetwegen. Ihr möchtet ihn wohl gern
mit euren Blicken begleiten und helfen, wenn ihr's nur könntet.
Nun, was meint ihr, sollte der liebe Gott nicht können und thun,
was ihr nicht vermögt und doch wünscht? — Wenn ihr die rechten
Augen dazu habt, könnt ihr das Faß ohne Sorge fortschweben
sehen aus dem Wäger.
Aber wie, denkt ihr, muß der lieben Mutter um das Herz sein,
da sie ihren Alfred mitten ans dem tiefen Weiher schweben und
schwanken sieht! — Sie war nämlich in ein oberes Zimmer des
Schlosses hinaufgegangen und hatte sich an das Fenster begeben,
um in die grünende und blühende Frühlingslandschaft einen Blick
zu thun; da sah sie ihr geliebtes Kind mitten ans dem Weiher,
aber auch das Täubchen sah sie, worauf er zusteuerte. Welche
Angst, welch ein Schreck mag ihr Mutterberz ergriffen haben!
Ei, nicht doch, Kinder. Es fiel ihr sogleich ein liebes Gvttes-
wort ein, das ihrem Herzen oftmals ein Trost gewesen war, nämlich
das Wort, ihr wisset wohl, wer es von den Kindern gesagt hat:
'Ihre Engel schauen immerdar das Angesicht meines Vaters im
Himmel,' und noch ein anderes Gotteswort: 'Der Herr behütet die
Einfältigen und lässet es den Frommen gelingen.' — So schaut sie
heimlich und ohne Sorge von dem hohen Erker des Schlosses
hinunterz Alfred aber wußte nicht, daß die Mutter ihn sähe.
So ruderte und schob nun Alfred mit großer Anstrengung
ans das Täubchen los und wischte sich oft am Ermel den Schweiß
vom Gesichte. Das Täubchen aber wurde immer matter und
matter, und seine Kreise immer kleiner und kleiner; aber dem Knaben
wuchs die Kraft und der Muth.
Endlich war cs ihm gelungen; Alfred hatte sein Ziel erreicht.
Da neigte er sich vorsichtig und leise in seinem wackelnden Boote,
streckte die Hand hinaus, faßte das Täubchen und zog cs ans den
Wellen. Das arme Thierchen zitterte wie ein Espenblatt und
hatte sein Schnäbelchen offen und die Augen zu und war wie
sterbenskrank. Es läßt sich leichtlich denken, der Schreck und die
Reue und dazu die Angst und das kalte Wasser. Damit ließ sich
fürwahr nicht scherzen.
Als Alfred solches sah, jammerte ihn des kranken Tänbckens;
aber er wußte auch sogleich guten Rath. Er legte sein Schiss vor
Anker, nämlich sein Ruder und Steuerstab mußte jetzt auch sein
Anker werden und, in den Boden befestigt, das Schifflein halten.
Die Liebe ist ebenso klug, als sie stark ist, und weiß aus nichts
etivas und aus allem allerlei zu machen. Da nun das Schifflein
stand, nahm er das Täubchen und streichelte ihm das Wasser aus
den Federn, daß sie ganz glatt wurden und so trocken als möglich,
und dann that er sein Hemdekräglein mit der linken Hand aus-
einander und schob das Täubchen mit der rechten hinein in den
Busen und knöpfte zu. Da saß es nun an seinem Herzen wie in