1859 -
Hanover
: Rümpler
- Autor: Goedeke, Karl, Colshorn, Theodor
- Sammlung: Lesebuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
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gau gekommen war, treuherzig und redselig, wie alle Gemüther
sind, die Theilnehmung und Hoffnung bedürfen, und die Schweizer
ohnedem, erzählte sie ihren Reisegefährten bald, wa3 sie auf den
Weg getrieben hatte. 'Find ich ihn in Colmar nicht, so geh ich
nach Straßburg, sind ich ihn in Straßburg nicht, so geh ich nach
Mainz.' Die andern sagten das dazn und jenes, und einer fragte
sie: 'Was ist denn Euer Sohn bei der Armee? Major?' Da wurde
sie fast verschämt in ihrem Inwendigen. Denn sie dachte, er könnte
wohl Major sein, oder so etwas, weil er immer brav war, aber
sie wußte es nicht. 'Wenn ich ihn nur finde,' sagte sie, 'so darf
er auch etwas weniger sein, denn er ist mein Sohn.' Zwei Stunden
herwärts Colmar aber, als schon die Sonne sich zu den clsässer
Bergen neigte, die Hirten trieben heim, die Kamine in den Dörfern
rauchten, die Soldaten in dem Lager nicht weit von der Straße
standen partienweise mit dem Gewehr beim Fuß, und die Generale
und Obersten standen vor dem Lager beisammen, diseurierten mit
einander, und eine junge weißgekleidete Person von weiblichem Ge-
schlecht und feiner Bildung stand auch dabei und wiegte auf ihren
Armen ein Kind. Die Frau im Postwagen sagte: 'Das ist auch
keine gemeine Person, daß sie nahe bei den Herren steht. Was
gilt's, der, wo mit ihr redet, ist ihr Mann.' Der geneigte Leser
fängt allbereits an, etwas zu merken; aber die Frau im Postwagen
merkte noch nichts. Ihr Mutterherz hatte noch keine Ahnung, so
nahe sie an ihm vorbeigefahren war, sondern bis nach Colmar
hinein war sie still und redete nimmer. In der Stadt im Wirts-
haus, wo schon eine Gesellschaft an der Mahlzeit saß, und die
Reisegefährten setzten sich auch noch, wo Platz war, da war ihr Herz
erst recht zwischen Bangigkeit nnb Hoffnung eingeengt, daß sie jetzt
etwas'von ihrem Sohn erfahren könnte, ob ihn niemand kenne,
und ob er noch lebe, und ob er etwas sei, und hatte doch den
Muth fast nicht, zu fragen. Denn es gehört Herz dazu, eine Frage
zu thun, wo man das Ja so gerne hören möchte, und das Nein
ist doch möglich. Auch meinte sie, jedermann merke es, daß es ihr
Sohn sei, nach dem sie frage, nnb daß sie hoffe, er sei etwas ge-
worden. Endlich aber, als ihr der Diener des Wirts die Suppe
brachte, hielt sie ihn heimlich an dem Nocke fest und fragte ihn: 'Kennt
Ihr nicht einen bei der Armee, oder habt Ihr nicht von einem ge-
hört, so und so?' Der Diener sagt: 'Das ist ja unser General, der
im Lager steht. Heute hat er bei uns zu Mittag gegeffen,' und
zeigte ihr den Platz. Aber die gute Mutter gab ihm wenig Gehör
darauf, sondern meinte, es sei Spaß; der Diener ruft den Wirt.
Der Wirt sagt: 'Ja, so heißt der General.' Ein Officicr sagte
, auch: 'Ja, so heißt unser General,' und auf ihre Fragen
antwortete er: 'Ja, so alt kann er fein, und ja, so sieht er aus
und ist von Geburt ein Schweizer.' Da konnte sie sich nicht mehr
halten vor innerer Bewegung und sagte: 'Es ist mein Sohn, den