1861 -
Hanover
: Rümpler
- Autor: Colshorn, Theodor, Goedeke, Karl
- Sammlung: Lesebuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
22 3
166.
Attila.
Von Mascov.
Geschichte der Deutschen. Leipzig 1726—37. (Gekürzt.)
Ans den Münzen, die man von Attila erdichtet, hat man ihm
fast keine menschliche Gestalt gegeben. Und was die Gemüths-
beschasfenheit anbetrifft, stellen ihn die Neuern insgemein so wild
vor, als wenn er sich selbst ans seiner Grausamkeit Ehre gemacht
und sich unter andern seltsamen Titeln auch eine ^Geisel Gottes'
genannt hätte. Diesen setzen wir die Abbildung entgegen, welche
Jvrnandes, vielleicht aus Prisci Historie entlehnt, hinterlassen
hat. Er war kurz von Person, hatte breite Schultern, einen
großen Kopf, kleine Augen und eine gestutzte Nase. Die Begierde
zu herrschen bildete bei ihm den mächtigsten Trieb; dabei war er
ebenso gütig gegen die, welche er einmal in Schutz genommen,
als schrecklich gegen die Feinde. Wie die Beschreibung seiner Ge-
stalt mit dem, was von dem äußerlichen Wesen der Hunnen über-
haupt bekannt ist, zusammentrifft, so kommt auch die Bezeichnung
seiner Gcmüthseigenschaften mit den Thaten, die der sicherste Spiegel
des menschlichen Gemüths sind, überein. Priscus beschreibt ihn
dnrchgehends als einen Herrn von ernsthaftem Wesen; einige Um-
stände laufen mit unter, die etwas Grausames zeigen. Wie bei
feurigen Gemüthern insgemein die Bewegungen von Liebe und Zorn
gleich heftig sind, so haben bei Attila die letzter» desto weiter
gehen müssen, je nöthiger die Strenge gewesen, so wilde Völker
im Zaum zu halten. Zum Kriege trieb ihn sein Ehrgeiz und die
gemeine Neigung seiner Nation, welche kein ander Mittel, Ruhm
zu erwerben, kannte. Er bediente sich dabei, um dem Volke
desto mehr Vertrauen zu seinen Waffen zu machen, des Aber-
glaubens seiner Unterthanen, indem er ausbringen lassen, er habe
das Schwert, ich weiß nicht, welches Helden, den damals die Nach-
welt als einen Gott des Krieges verehrte, in seine Hände bekommen.
Wie man aber von denen, die große Reiche gestiftet, allemal ver-
- muthen kann, daß sie ihr Glück nicht bloß der Faust zu danken
gehabt, so finden wir auch bei Attila viele andere Geistesgaben,
welche um- so mehr Hochachtung und Vergnügen erwecken, weil sie
bei ihm eine reine Wirkung seiner Natur waren. Er war nicht
so wild, daß man nicht einige Funken der natürlichen Religion, die
sich unter den rohesten Heiden finden, in seinem Thun und Lassen
hervorscheinen sähe. Priscus erzählet, daß er unter seinen Söhnen
den jüngsten deswegen am liebsten gehabt, weil die Wahrsager
prophezeiet, daß der Himmel demselben die Nachfolge zugedacht. Er
wußte mitten unter dem Geräusche der Waffen auch die ruhigen
Künste des Friedens wohl zu gebrauchen. Er führte nicht allein
sein Volk selbst im Kriege an, sondern saß auch in Person zu