1861 -
Hanover
: Rümpler
- Autor: Colshorn, Theodor, Goedeke, Karl
- Sammlung: Lesebuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
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noch verschiedene Jagdgeschichten zu erzählen gedenke, die mir merk-
würdiger und unterhaltender scheinen.
Eines Morgens sah ich durch das Fenster meines Scklafge-
machs, daß ein großer Teich, der nicht weit davon lag, mit wilden
Enten gleichsam überdeckt war. Flugs nahm ich mein Gewehr
aus dem Winkel, sprang zur Treppe hinab, und das so über Hals
und Kopf, daß ich unvorsichtigerweise mit dem Gesichte gegen die
Thürpfoste rannte. Feuer und Funken stoben mir ans den Augen,
aber das hielt mich keinen Augenblick zurück. Ich kam bald zum
Schuß; allein wie ich anlegte, wurde ich zu meinem großen Veb-
drusse gewar, daß durch den so eben empfangenen heftigen Stoß
sogar der Stein von dem Flintenhahne abgesprungen war. Was
sollte ich nun thun? denn die Zeit war hier nicht zu verlieren.
Glücklicherweise fiel^nir ein, was sich so eben mit meinen Augen
zugetragen hatte. Ich riß also die Pfanne ans, legte mein Gewehr
gegen das wilde Geflügel an und ballte die Faust gegen eins von
meinen Augen. Von einem derben Schlage flogen wieder Funken
genug heraus, der Schuß gieng los, und ich traf fünf Paar Enten,
vier Rothhälse und ein Paar Wasserhühner. Gegenwart des
Geistes ist die Seele mannhafter Thaten. Wenn Soldaten nnb
Seeleute öfters dadurch glücklich davon kommen, so dankt der
Weidmann ihr nicht seltener sein gutes Glück.
Ein anderesmal stieß mir in einem ansehnlichen Walde von
Rußland ein wunderschöner schwarzer Fuchs ans. Es wäre Jam-
merschade gewesen, seinen kostbaren Pelz mit einem Kugel- oder
Schrotschusse zu durchlöchern. Herr Reineke stand dicht bei einem
Baume. Augenblicklich zog ich meine Kugel aus dem Laufe, lud
dafür einen tüchtigen Brettnagel in mein Gewehr, feuerte, und
traf so künstlich, daß ich seine Lunte fest an den Baum nagelte.
Nun gieng ich ruhig zu ihm, nahm mein Weidmesser, gab ihm
einen Kreuzschnitt übers Gesicht, griff nach meiner Peitsche und
karbatschte ihn so artig aus seinem schönen Pelze heraus, daß es
eine wahre Lust und ein rechtes Wunder zu sehen war.
Einst, als ich all mein Blei verschossen hatte, stieß mir, ganz
wider mein Vermuthen, der stattlichste Hirsch von der Welt auf.
Er blickte mir so mir nichts dir nichts ins Auge, als ob er's aus-
wendig gewußt hätte, daß mein Beutel leer war. Augenblicklich
lud ich indessen meine Flinte mit Pulver und darüber her eine
ganze Hand voll Kirschsteine, wovon ich, so hurtig sich das thun
ließ, das Fleisch abgezogen batte. Und so gab ich ihm die volle
Ladung mitten auf seine Stirn zwischen das Geweihe. Der
Schuß betäubte ihn zwar, er taumelte, machte sich aber doch ans
dem Staube. Ein oder zwei Jahre darnach war ich in eben dem-
selben Walde aus der Jagd: und siehe! zum Vorschein kam ein
stattlicher Hirsch mit einem voll ausgewachsenen Kirschbaum, mehr
denn zehn Fuß hoch, zwischen seinem Geweihe. Mir siel gleich