1. Bd. 2
- S. 21
1837 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Russisches Reich.
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trifft unter ihnen viele mit blauen Augen, röthlichem Bart und blon-
dem oder rothbraunem Haar; das vollkommen schwarze ist selten. Sie
sollen eine Kolonie der alten Meder seyn, reden eine Sprache, die ein
Gemisch von Persischen, Slavischen, Grusinischen und sogar Deutschen
Wörtern ist, und leben zerstreut in Dörfern oder einzelnen Hausern,
die oft kleinern Burgen gleichen, mit Mauern und Thürmen umgeben.
Außer dem Ackerbau, der jedoch in ihren Gebirgen sehr beschwerlich ist,
ist ihre gewöhnliche Beschäftigung die Viehzucht, und Schafheerden
machen den Hauptreichthum derselben aus. Auch lieben sie die Jagd
und verfertigen Schmiedearbeiten, Sattel, Schießpulver und Leder.
Jetzt sind sie den Russen Unterthan, da sie früher ganz unabhängig
waren. Wenn ein Ossete, der sich in großer Gefahr befindet, in das
Haus eines Mannes, der einer großen und mächtigen Familie ange-
hört, eindringt, sich der Mütze desselben bemächtigt und sie aufsetzt,
so bedeutet dies, daß er sich unter den Schutz des Hausherrn stellt;
von diesem Augenblicke an steht er unter der Obhut der Familie. Dieser
Schutz kann auch noch auf die folgenden beiden Arten erlangt werden:
Jeder Verfolgte, der in das Haus eines mächtigen Mannes tritt,
und sich die über dem Heerde befestigte Kette, an der der Fleifchkessel
hangt, um den Hals legt, deutet dadurch an, daß er sein Schicksal in
die Hände des Hausherrn lege und daß er hoffe, geschützt zu werden.
Die zweite Ceremonie besteht darin, sich vor dem, dessen Schutz man
anfleht, auf die Knie zu werfen, und den Kopf mit dessen Gewand
zu bedecken, indem man ruft: „ich habe mein Haupt mit deinem Kleide
bedeckt, du und dein Gott ihr müßt mich schützen und gegen jede
Beleidigung vertheidigen, denn ich vertraue mein Schicksal deiner Groß-
muth." 4) Die Tscherkessen, gewöhnlich Circassier genannt,
bewohnen die große und kleine Kabarda und das Land jenseits des
Kuban bis an das schwarze Meer, und theilen sich in 5 ganz genau
unterschiedene Klassen; deren erste die P sch eh (Fürsten) begreift,
welche über die andern herrschen; die zweite die Usden (Edelleute);
die dritte die von den Fürsten und Edeln Freigelassenen, wodurch
sie zwar Edle werden, aber ohne von dem Kriegsdienste unter ihren
frühern Herrn befreit zu seyn; die 4te die von diesen neuen Edlen
Freigelassenen, und die 5te die tscho-chotl, (Leibeigenen) welche
sich wieder in Ackerbauer und in Diener der höhern Klassen abtheilen.
Jedem Zweige der Fürstenfamilie sind mehrere Familien von Edeln
Unterthan; diese haben wieder Bauern unter sich, welche sie als Erb-
eigenthum betrachten, weil sie nicht von einem Edeln zu einem andern
übergehen können. Jeder Fürst ist also der Oberlehnsherr seiner
Edeln; wie diese wieder die Herren ihrer Leibeigenen sind. Die Bau-
ern sind nicht gehalten, den Usden bestimmte Abgaben zu bezahlen,
aber sie müssen ihnen alle ihre dringendsten Lebensbedürfnisse liefern.
Dasselbe Verhältniß findet zwischen den Fürsten und Edeln Stattt
jene fordern von diesen, was sie zum Lebensunterhalt bedürfen, aber