1. Bd. 2
- S. 50
1837 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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Europa.
eine Stadt, die jetzt nach London, Paris und Eonstantinopel die volk-
reichste Stadt in Europa ist und in ihren 8000 Häusern eine Bevöl-
kerung von 450,000 Menschen hat. Außerdem kommen aber jährlich
im Frühlinge gegen 150,000 Menschen aus dem Innern des Reichs
hierher, theils als Arbeiter auf den Barken, theils als Maurer, Zim-
merleute rc.; von diesen bleibt gewöhnlich mehr als ^ den Winter
über daselbst, so daß man immer über eine halbe Million Bewohner
rechnen kann. Petersburg hat nicht den Vortheil der zauberischen Um-
gebung, der schönen Natur und einer malerischen Lage; vielmehr liegt
es niedrig auf einem flachen, meistens sumpfigen Moorboden (wo sich
in den Niederungen kaum Z F. tief schon Wasser findet, daher auch
die meisten Hauser wie in Venedig und Amsterdam auf einem Funda-
ment von Pfählen erbaut sind) und in einer Landschaft, die nirgends
jene schöne Abwechslung darbietet, welche die Lage vieler andern Haupt-
städte schmückt, sondern wo selbst noch jetzt, ungeachtet dessen was die
Kunst zur Verschönerung der Gegend am meisten auf der Südseite
der Stadt gethan hat, die Kultur in einiger Entfernung von dersel-
den, namentlich gegen O. und N. gering ist, und man außer so
manchen Dörfern und Lustschlössern und Landsitzen der Großen, nichts
als Wald erblickt. Desgleichen entbehrt Petersburg bei seiner sehr
nördlichen Lage, fast unter 60. Grad der Breite, eines milden Klimas.
Das Angenehmste sind die schönen hellen Sommernächte, die so klar
sind, daß man die ganze Nacht hindurch die feinste Schrift ohne Licht
zu bedürfen, lesen kann. Dagegen hat man freilich in vielen Winter-
tagen kaum 4 Stunden Tageslicht. In Rücksicht des Handels aber
hat Petersburg eine sehr günstige Lage; denn ein schiffbarer majestäti-
scher, 1200 F. breiter Strom, die Newa, welche aus dem großen
Ladogasee kommt, durchfließt in mehrere Arme sich theilend, die Stadt
und ergießt sich nach einem überhaupt 9 Meilen langen Laufe, in den
Finischen Meerbusen, der dicht bis an das Westende Petersburgs geht.
Dieser Fluß, von großer Tiefe und schöner Durchsichtigkeit seiner,blauen
Fluthen ist von schönen, aus Granitquadern ausgemauerten Kaien oder
Dämmen, mit Brustlehnen von Granit und gegittertem Eisen, mit
prächtigen Landungsplätzen eingefaßt, die sich längs der Newa und
ihrer Kanäle in ungeheurer Länge erstrecken und so einen mehrere Mei-
len langen Spaziergang gewähren, indem ein breiter Fahr- und wohl-
gepflasteter Fußweg, der an den Brustwehren hinläuft, die Reihe der
das Ufer schmückenden Palläste und prachtvollen Gebäude von dem
Flusse selbst scheidet. Zugleich dient das schöne, klare Wasser der Newa,
da Petersburg keine Brunnen hat, zum allgemeinen Trinkwasser. Allein
so große Vortheile die Newa der Stadt gewährt und einen der be-
merkenswerthesten Züge in dem Gemälde derselben bildet; so furchtbar
wird auch dieser Strom, wenn Stürme sich erheben, und dann diese
sonst spiegelglatten Fluthen maueräbnlich sich thürmen. Noch in fri-
schem Andenken ist jener schreckenvolle Tag, der 19. November 1824,