1. Bd. 2
- S. 60
1837 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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Europa.
tagen und andern Festen des kaiserlichen Hauses. Zahllose Lustwand-
ler aller Stände, Alter und Geschlechter überströmen dann die Fuß-
wege. Mit unabsehlichen Wagenzügen sind dann die Land- und mit
Bootenflotten die Wasserwege dahin bedeckt. Ein dichtes Gewühl
der Vornehmen und der feinern Mittelstände herrscht überall in den
Erfrischungshausern und auf den Spaziergängen. Volksmassen drän-
gen sich zu ihren fröhlichen Spielen. Aus Wald und Gebüsch, von
Wiesen und vom Strome her erschallen Musik- und Gesangchöre der
Regimenter. Schon früh Nachmittags erscheinen die untern Klassen,
eilend zu den Rutschbahnen, Schaukeln, Caroussels (Ringelrennen),
Rennpfaden, Ball- und Kegelspielen, Seiltänzer-, Pantomim- und
Gauklerbuden k., um sich zu erlustigen. Einige Stunden später fol-
gen ihnen die Klassen des Mittelstandes, und am Spätabend erscheint
die vornehme und elegante Welt.
In der Nähe von Petersburg und in einiger Entfernung davon
liegen viele der kaiserlichen Familie gehörigen Lustschlösser. Zu dem
4 Meilen von Petersburg entfernten Lustschlosse Peterhof führt eine
der schönsten Kunststraßen, an beiden Seiten mit herrlichen Gärten
und Landhäusern besetzt. Es verdankt Peter dem Großen seine erste
Entstehung, ist aber von seinen Nachfolgern erweitert und zum Theil
erneuert worden, so daß-es wenig von seiner ersten Anlage behalten
hat, liegt am südlichen Ufer des Finischen Meerbusens, und kann
nicht mit Unrecht das Russische Versailles genannt werden, sowohl
was die Palläste als die Gärten und die kunstreichen Wasserwerke
betrifft, ja in Hinsicht der letztem laßt es das Französische Versailles
weit hinter sich. Einen Theil des Sommers hält sich der kaiserliche
Hof zu Peterhof auf; aber vorzüglich besucht ist dieses Lustschloß am
29. Junius, dem festlich begangenen Petri-Paulitage, wo sich wohl
an 100,000 Personen aller Stände aus der Hauptstadt und den
andern benachbarten Orten in den großen Gärten Peterhofs belustigen.
An der von Petersburg nach Nowgorod und Moskau führenden
Kunsistraße liegt 3ss M. von Petersburg das bekannte und prachtvolle
kaiserliche Lustschloß Zarskoje-Selo oder Zarskoe-Selo, das seine
Pracht und Größe der Kaiserin Katharina Ii. zu verdanken hat;
allein die ursprüngliche Anlage ist das Werk der Kaiserin Katharina 1.,
welche hier in Abwesenheit ihres Gemahls ein Schloß erbauen ließ,
um ihn bei seiner Rückkunft damit zu überraschen. Diese erste Anlage
erweiterte und verschönerte sodann die Kaiserin Elisabeth. Das Schloß
hat in der Fronte eine Länge von 1200 F. und imponirt von ferne
gesehen durch seine Riesengröße, aber in der Nähe betrachtet, verliert
es an Eindruck, wegen seiner Überladung von Verzierungen. Dem
prachtvollen Äußern entspricht das Innere mit seinen zahllosen Prunk-
zimmern und in Orientalischer Art geschmückten Sälen und mit sei-
nen kostbaren Verzierungen in Marmor, Mosaik, Jaspis, Agat, Lapis
Lazuli, und den feinsten farbigen Holzarten. Dazu kommen die aus-