1. Bd. 2
- S. 153
1837 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
Osmanischcs Reich.
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Begriffen für etwas Erlaubtes und Gerechtes. Dieses Rachegefühl
verleitet ihn dann zum Raube, zum Morde und zu andern grausamen
Handlungen. Mit der Muttermilch wird dem Knaben das furchtbare
„Wer sich nicht rächt, ist ein ehrloser Schurke" eingeflößt und die
Blutrache erbt sich von Vater auf Sohn und Enkel. Ist ein Monte-
negriner von seinem Feinde erfchoffen worden (und dies geschieht nicht
selten), so hat die Familie des Verstorbenen die Verpflichtung, diesen
Mord durch einen neuen an irgend einem Gliede der Familie des
Mörders zu sühnen. Eine Familie, die dieser Verpflichtung nicht
nachkäme, würde vom ganzen Lande als entehrt betrachtet werden. Der
Blutrachec lauert auf unschuldige Verwandte des Mörders und schießt
sie aus sicherm Hinterhalte nieder. Lauert er zu lange vergeblich, so wagt
er sich bis in die Nahe ihrer Wohnungen, und in Ermangelung eines
Erwachsenen, genügt ihm jedes lallende Kind. Doch nie wird bei
Ausgleichung der Blutrache ein Weib getödtet, welche Schonung nur
eine Folge der tiefen Verachtung ist, worin das weibliche Geschlecht
steht; denn ein Montenegriner halt es für den größten Schimpf ein
Weib, ein in seiner Meinung so erbärmliches Wesen, zu tobten.
Der Haß und die Rache entflammt sich von beiden Seiten, bald hat
die Familie des Mörders, bald die Familie des Bluträchers mehrere
Todte zu beklagen; die Zahlen werden gegenseitig gewissenhaft gleich
gemacht, und dies dauert oft viele lange Jahre fort, bis dem blutigen
Kampfe durch ein Lösegeld ein Ende gemacht wird, das der Mörder
den Verwandten oder Erben des Gemordeten bezahlt; denn die Familie
des Gemordeten bewahrt Jahre lang die blutbefleckten Kleidungsstücke,
um durch die Vorzeigung derselben die Verwandten des Gemordeten
zur Rache zu entflammen, weil nach dem herrschenden Volksglauben
seine Seele nicht eher Ruhe findet, bis sein Mörder gefallen ist, oder
sich durch ein Lösegeld losgekauft hat. — Den größten Handelsverkehr
treiben die Montenegriner mit den Österreichischen Unterthanen auf
den Granzmarkten von Cattaro und Budua. Der besuchteste Bazar
ist jener von Cattaro, welcher wöchentlich dreimal vor dem einen Thore
dieser Stadt gehalten wird. Aus Furcht vor der Pest werden dabei
dieselben Maßregeln beobachtet, wie bei den Bazars an der Türkischen
Gränze. Die Einheimischen und Montenegriner sind nämlich durch
ein Geländer so von einander getrennt, daß keine Berührung Statt
finden kann. Ein Gesundheitsbeamter und eine Militärwache halten
die polizeiliche Ordnung aufrecht. An diesen Markttagen erhält eine
bestimmte Zahl von Montenegrinern Einlaßkarten in die Stadt,
nachdem sie vorher ihre Waffen auf dem Bazarplatze abgelegt haben.
Den Weibern ist der Eintritt in dieselbe ohne Einschränkung erlaubt.
Seit der Zeit die Montenegriner mit den Türken in friedlichen Ver-
hältnissen leben, treiben sie auch mit diesen Handelsverkehr und bege-
den sich zahlreich auf die Bazars an der Gränze.
Die kleine Stadl Le sch oder Alessio, in Albanien, unweit des