1. Bd. 2
- S. 192
1837 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
192
Europa.
.reichliche Quellen und Wasserfalle; überall vereint sich das Großartige
mit dem Malerischen. Die Hügel sind mit Weinstöcken und Frucht-
baumen aller Art bedeckt. Die schönsten Thaler ziehen sich an den
Granitselsen hin, die von dem Kamme des Ocha-Gebirges auslau-
fen, dessen Zweige, mit Fichten, Eypressen, Eichen, Buchen und andern
kräftigen Baumen bekleidet, die Insel fast ihrer ganzen Lange nach
durchschneiden. Das Ocha-Gebirge liefert einen grünen Marmor von
außerordentlicher Schönheit. Der Boden dieser Insel ist mit Recht
seiner fetten Weiden wegen berühmt, und unter seinen Früchten zeich-
net sich vorzüglich die Feige aus, welche man hier von der besten Qua-
lität erndtet. Im N. der Insel liegt Orio, das alte Oreus,
dessen viel geschätzte Weinberge denen an den Ufern des Rheins sehe
gleich kommen. Die zahlreichen Produkte dieser Insel bestehen haupt-
sächlich aus Getreide, Wolle, Baumwolle, Öl, sehr geschätztem Honig,
Wein, frischen und getrockneten Früchten und Bauholz. An Vieh
ist Überfluß und man findet es hier von der schönsten Art. Die Insel
besitzt auch Eisen-, Kupfer-, Steinkohlen-, Bergkrystall- und Asbest-
Minen, die alle noch sehr ergiebig sind, warme Quellen und Thonerde,
die zur Verfertigung von sehr feinem Geschirr dient. In einem Theil
von Euböa ist der Boden gut angebaut, und blüht der Ackerbau;
doch könnten reichere Kapitalien und eine verbesserte Methode demsel-
den einen Schwung geben, der die Reichthümer dieses fruchtbaren
Bodens sehr vermehren würde. Das Holz, womit das Land theil-
weise bedeckt ist, könnte zum Schiffbau dienen, und die Ausbeutung
der Wälder würde der Insel einen Handelszweig verschaffen, der ihr
bis jetzt beinahe ganz fremd geblieben ist.
Die Insel Antiparos, eine der Cykladen, ist zwar sehr klein,
etwa H>M. groß mit 500 E., und ein bloßer Kalksteinfelsen, der
nur wenig Getreide, Gemüse, Wein und Baumwolle liefert, aber
merkwürdig wegen ihrer berühmten Stalaktitenhöhle, in welcher man
Stalaktiten in einer Länge von 20 bis 30 F. findet. Sie ist 80 F.
hoch, 100 F. breit und im Ganzen 1300 F. lang und mit einer fei-
nen, sonst nirgends gefundenen Art von Tropfsteinen überzogen, die den
Glanz und die Durchsichtigkeit von Krystallen haben, und die seltensten
Figuren von Pflanzen und andern Naturkörpern bilden. Ein Reisender, der
kürzlich diese Höhle besuchte, erzählt davon Folgendes: „An einem stei-
len Pfade zeigten uns die Führer eine mächtige Spalte im Felsen, an
deren Ende ein ungeheurer Stalaktit, welcher von der Decke bis an
den Boden reichte, wie eine Schildwache hingestellt schien vor dem
finstern Schlunde. Kaum hatten wir 15 bis 20 Schritte darin ge-
than, als das Tageslicht völlig erlosch und die Fackeln unserer Führer,
von der feuchten Atmosphäre halb erstickt, nur düster flammten. Dei
Weg wurde immer steiler und der Boden durch die Feuchtigkeit s>
schlüpfrig wie Eis. Ein Tau war das Einzige, an was wir uns hal-
ten konnten und dies rieb sich gewaltig an den scharf vorspringender