1. Bd. 2
- S. 328
1837 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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Asien.
er eine Gelegenheit dazu fände. Deshalb verlangen die ins Zelt tre-
tenden Personen, daß er dem Privilegium des Dakheil entsagen soll.
Aber diese Entsagung ist nur für den Tag gültig, wo sie gemacht wird;
denn wenn dieselben Personen den nächsten Tag ins Zelt treten, so ist
dieselbe Entsagungsform nothwendig und sie wird in der Regel wieder-
holt, so oft eine Person ins Zelt tritt. Damit der Haramy nicht leicht
entkomme oder der Dakheil eines Andern werde, so wird in den Bo-
den des Zeltes 2 F. tief und von Manneslange ein Loch gegraben, in
welches er gelegt wird. Seine Füße werden mit Ketten auf dem Boden
befestigt, seine Hände gebunden und sein geflochtenes Haar an 2 Pflö-
cken auf beiden Seiten seines Kopfes befestigt. Einige Zeltpfahle werden
alsdann quer über dieses Grab gelegt und über dieselben Getreidesacks
und andere schwere Gegenstände, so daß nur eine kleine Öffnung für
das Gesicht des Gefangenen übrig bleibt, durch welche er Athem zu
schöpfen im Stande ist. So lebendig begraben, giebt der Gefangene
nicht alle Hoffnung auf, zu entkommen. Dies beschäftigt seine Seele
beständig, wahrend der Rabat bemüht ist, von ihm das höchst mögliche
Lösegeld zu bekommen. Gehört der Räuber einer reichen Familie an,
so sagt er nie seinen eigenen Namen, sondern behauptet, daß er ein
armer Bettler sey. Wird er erkannt, was gemeiniglich der Fall ist,
so muß er als Lösegeld stin ganzes Eigenthum an Pferden, Kameelen,
Schafen, Zelten, Vorrathen und Bagage zahlen. Beharrt er dabei,
Armuth vorzuschützen und seinen wahren Namen zu verbergen, so
dauert zuweilen seine Gefangenschaft an 6 Monate. Alsdann gestattet
man ihm, seine Freiheit um einen mäßigen Preis zu erkaufen, oder
es kann ihm auch das Glück zum Entkommen behülflich seyn. Gelingt
es ihm, aus dem Loche, welches man sein Grab nennen kann, einem
Manne oder einem Kinde ohne die oben erwähnte Entsagungsform ins
Gesicht zu spucken, so gilt das so viel, als habe er einen Beschützer
und Befreier berührt; oder wenn ein Kind (doch nicht das Kind des
Rabat) ihm ein Stück Brod giebt, so spricht der Räuber das Recht
an, mit seinem Befreier gegessen zu haben. Alsdann wird sein Recht
auf Freiheit anerkannt, die Riemen, mit welchen sein Haar gebunden
war, werden mit einem Messer zerschnitten, seine Fesseln abgenommen,
und er in Freiheit gesetzt. Auch befreien den Gefangenen seine Freunde
oft durch Gewalt oder durch List.
Die Arabischen Stämme befinden sich in einem Zustande fast
beständigen Krieges gegen einander. Es ist selten der Fall, daß ein
Stamm jemals mit allen seinen Nachbarn in Frieden lebt; doch ist der
Krieg zwischen zwei Stämmen selten von langer Dauer; der Frieden ist
leicht geschlossen, wird aber auch unter dem geringfügigsten Vorwände
wieder gebrochen. Die Arabische Art, den Krieg zu führen, ist die der
Partheigänger; zu allgemeinen Schlachten kommt es selten. Einen
Feind durch einen plötzlichen Anfall zu überraschen und ein Lager zu
plündern, darauf ist es von beiden Seiten hauptsächlich abgesehen.