1. Bd. 2
- S. 392
1837 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
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A sien.
welche der Querdurchbruch des Bhagirathi Ganga sich westwärts und
südwestwärts herumwindet. Alle diese Berge stehen in glänzendem
Schnee und Eis prachtvoll da. Noch immer zeigte das Schneeseld,
welches den Strom verbirgt, eine große Ausdehnung; der morgende
dritte Tag, dachte Hodgson, werde es erst lehren, wo es ende und wo
der Strom beginne. Das Athmen war hier schon beschwerlich; man
mußte nach wenigen Schritten stets stille stehen, um frischen Athem zu
schöpfen. Dem schönsten Abend folgte die prachtvollste, hellste Stern-
nacht, von einem unbeschreiblichen Glanze in tiefblauen Himmelsräumen.
Die Durchsichtigkeit der Luft und das schnelle Verschwinden der Sterne
hinter den Gipfeln der Piks, nebst ihrem Hervortreten war außeror-
dentlich überraschend. Die erhabenen, klaren Piks, ganz in Schnee
und Eis gehüllt, glanzten im Mondlicht in feierlichster Einsamkeit und
Stille. Kein lebendes Wesen ließ sich hier sehen oder hören, kein Bar,
kein Adler, kein Moschusthier; nur hier und da flogen ein Paar kleine
einsame Vögelchen vorüber.
Am Morgen des dritten Tages ging der Weg zuerst hinab in
das Strombett, wohin man 864 Schritte hinabzusteigen hatte, zu einer
Szene voller Wunder. Der Ganges tritt unter einem sehr niedrigen
Bogen am Fuße eines großen Schneebettes in einer Höhe von 12,949
Par. Fuß über dem Meere hervor. Rechts und links ist ec von ho-
hen Felsen und hohem Schnee begranzt; aber in der Fronte, über der
Kluft seines Hervortrittes ist die Schneemasse ganz senkrecht; eine
Schneewand von sicher 300 F. dicken, über einander gelagerten, gefror-
nen Schneeschichten. So zeigt sich die Wand aus der der Strom
hervortritt. Unzählige, kolossale Eiszapfen hangen herab von dieser selt-
samen Art von Eis- oder Schneewall, der seit Jahrhunderten sich auf-
häufte, von täglichem Schnee stets neu überdeckt. Der Strom hat
hier am Austritte der Schneewand eine Breite von 27 F. und eine
Tiefe von 13 Zoll. So war also Hodgsons Ziel erreicht, die Wiege
des Ganges und seine geweihte Quelle war aufgefunden. Hodgson
versuchte, nachdem er diesen ersten Austritt des Ganges entdeckt hatte,
das Schneekette weiter aufwärts zu besteigen, das sich an 3 Stunden
weiter bis zum Fuße der vier Heiligen ausdehnte, aber auch gegen den
Moira Berg sich immer weiter ausbreitete, wo nur noch wenige Fels-
ebenen hervorragten. Hier also singen die Bergrücken selbst an sich
in jene unendliche Schneedecke einzukleiden. Nachdem man etwa \
Stunde weit vorgedrungen war, fand man, daß die Höhe dieses erreich-
ten Punktes 13,700 F. betrug, also fast der Höhe des Montblancs
gleich kam. Auf dieser ganzen Strecke blieb der Ganges verborgen,
aber sicher liegt derselbe hier schon viele hundert Fuß unter dem Niveau
des Schneebettes, und in der Tiefe muß eine Wafferfammlung der
von allen Piks herabrinnenden Schneeschmelzen seyn. Das Zusammen-
rinnen aller dieser Adern zur gemeinsamen Tiefe und das durchsickernde
Schmelzwasser der obern Schneedecke selbst erzeugt die junge Ganga,