1. Bd. 2
- S. 506
1837 -
Eisleben
: Reichardt
- Autor: Cannabich, Johann Günther Friedrich
- Sammlung: Geographieschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Inhalt Raum/Thema: Geographie, Region?
- Inhalt: Zeit: Geographie
506 Asien.
sönlichen Reinlichkeit vielleicht weiter treiben, äls eine der Nationen
des östlichen Asiens. Gleich den Siamesen besitzen sie auch den Natio-
nalfehler der Eitelkeit, halten sich für das erste Volk in der Welt und
sind kaum zu vermögen, den Chinesen darin den Vorzug zu geben,
welche die einzigen Ausländer sind, denen sie allenfalls noch Achtung
erweisen, doch ist ihr Nationaldünkel nicht so beleidigend als derjenige
der Siamesen; denn gegen Fremde sind sie gesellig und gefällig. —
Die Anamiten sind übrigens unter allen Völkern Hinterindiens am
weitesten in der Civilisation vorgeschritten, stehen aber doch hierin den
Hindus, Chinesen und Japanesen nach. In der Industrie sind sie
Nachahmer der Chinesen, ohne sie jedoch darin zu erreichen. In der
Seidenweberei haben sie es weiter als in der Baumwollenweberei ge-
bracht. Auch verfertigen sie mit großer Geschicklichkeit lakirte Waaren,
und das Schmelzen und Verarbeiten der Metalle ist ihnen schon seit
langer Zeit bekannt. Unter andern verstehen sie schöne messingene
Kanonen zu gießen und besitzen derselben eine große Menge, die in
der kaiserlichen Kanonengießerei gegossen worden sind. Ein großes Hin-
derniß, das der Entwicklung ihrer Industrie entgegen steht, entspringt
aus der verderblichen Einrichtung, wonach die Regierung die Dienste
fast der ganzen erwachsenen männlichen Bevölkerung in Anspruch neh-
men kann. Jeder männliche Unterthan steht nämlich vom 18ten bis
zum 60sten Jahre oder sogar noch langer, wenn er dienstfähig ist, zur
Disposition des Staates. Im eigentlichen Cochinchina muß jeder dritte
Mann, welcher auf den Verzeichnissen steht, 3 Jahre lang wirklichen
Dienst leisten und kann dann eben so lange zu feiner Familie zurück-
kehren. In Tunkin ist nur jeder 7te Mann zum Dienst aufgefordert.
Diese Konskribirten heißen Soldaten und tragen eine militärische Uni-
form wobei jeder zu einem Bataillon oder Regiment gehört, aber die
Dienste zu welchen sie aufgefordert werden, sind keinesweges bloß mili-
tärischer Art, indem sie auch als Matrosen, Ruderer Arbeiter, Be-
diente und Dienstboten benutzt werden. Die stehende Kriegesmacht ist
gegenwärtig auf Europäische Art disziplinirt, bewaffnet und bekleidet,
und überhaupt haben die Anamiten in den neuesten Zeiten in der Krie-
geszucht viel von den Europäern gelernt und sind in der Befestigungs-
kunst und andern Kriegeskünsten nicht unerfahren, doch glaubt der
mehrmals angeführte Crawfurd, daß Anam mit allen seinen auf
Europäische Art angelegten Festungen und seiner auf Europäische Art
disziplinirten zahlreichen Armee leichter den Angriffen eines Europäischen
Kriegesheeres unterliegen werde, als irgend ein anderer bedeutender Staat
Asiens.
Die Sprache der Anamiten gehört zu den einsylbigen und hat
Ähnlichkeit mit der Chinesischen. Sie ist in Hinsicht der Aussprache,
auf welche jedoch bei derselben sehr viel ankommt, für den Ausländer,
schwer zu erlernen. Die Anamiten haben keine eigene Literatur und
Schrift, sondern bekommen alle ihre Bücher von den Chinesen, welche