1896 -
Berlin
: Oehmigke
- Autor: Reinecke, Hermann, Berthold, Ludwig
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Regionen (OPAC): Berlin
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zu behaupten sucht. Jetzt, wo die Menschen so manche ihrer reichsten
Wälder mit frevelndem Übermut vernichtet haben, wo der Bau der
Eisenbahnen und Fabriken so viele Millionen von Bäumen ver-
schlingt, die nicht so schnell wieder wachsen können, als die Hand
des Menschen sie abhaut, da erscheint die Steinkohle wie ein rettender
Engel, der zu den über Holzmangel betroffenen Menschen spricht:
„Seht, der gute Schöpfer hieß schon vor Jahrtausenden mich werden
im dunklen Schoß der Erde, ans daß ihr nun mit meinem Reich-
tum eure Armut bedecken möget."
Vor tausend und abertausend Jahren, ehe noch ein mensch-
licher Fuß auf der Oberfläche der Erde wandelte, wurden die
Schätze bereits versenkt, welche nun das Menschengeschlecht be-
gierig aus dem Schoß der Erde wühlt. In jener Urzeit, wo das
feuchte Erdreich noch gleicherweise von der innern Glut unsers
Planeten wie von den Sonnenstrahlen erhitzt wurde, ward eine
Pstanzenwelt hervorgerufen, die in ihrer Üppigkeit und Größe bei
weitem alles übertraf, was jetzt die Flora uns zeigt. Da wuchsen
riesige Farnkräuter mit dicken, 15—16 Meter hohen Stämmen und
zierlich zerteiltem Laubwerk. Da sproßten baumhohe Bärlapparten
und scharfe, rohrähnliche Kalmusstengel von der Höhe und Stärke
unserer Obstbäume, und zwar an Orten, wo jetzt nur noch Torf-
moos, Teichrohr und Binsen wachsen. Doch in den Revolutionen
des Erdballs wurde jenes Riesengeschlecht von Pflanzen dem Unter-
gänge geweiht, und auch dann noch, als schon die jetzige Gestalt
der Dinge immer mehr Raum gewann, mochte noch mancher baum-
reiche Wald verschüttet werden und aus dem Moder untergegangener
Geschlechter manch neues hervorblühen. So entstanden mächtige
Pflanzenlager; der Druck von oben und die Wärme von unten
wirkten zusammen, diese Holzmassen zu verkohlen. An vielen Stein-
kohlen, welche dem bloßen Auge nur wie ein dichter, glänzender
Stein erscheinen, hat das Mikroskop noch den zelligen Bau der
Pflanzen entdeckt, und hier und da lagert in der schwarzen Masse
noch ein deutlich zu erkennender Baumstamm, und besonders häufig
finden sich die Abdrücke von Farnkräutern.
Die Adern der Steinkohlen gleichen den Ästen eines großen
Baumes, sind aber meistens nur 60—100 Zentimeter mächtig, zu-
weilen jedoch auch 12 Meter stark. Das Kohlengebirge steigt eben-