1890 -
Breslau
: Goerlich
- Hrsg.: Richter, Eugen, Hübner, Max
- Auflagennummer (WdK): 8
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
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schlingen worden, und noch heute erzählen sich die Fischer, daß man bei klarer Luft die
weiten Straßen tief im Grunde des Meeres erblicken könne und wunderbare Töne
heraufhallen höre.
Außer der Oder finden wir nur unbedeutende Küstenflüsse in Pommern;
die wichtigsten sind die Stolpe, Persante und Peene.
4. Das Klima der Provinz ist ziemlich rauh und feucht.
5. Die Zahl der Bewohner beträgt etwa 1% Millionen, welche fast
sämtlich evangelisch sind. Sie sind kräftig, ausdauernd und derb. Ein
großer Teil ist mit Landwirtschaft beschäftigt; auch die Geflügelzucht wird in
großem Maßstabe betrieben. Die „pommerscheu Gänsebrüste" gehen nach allen
Provinzen. Recht ergiebig ist auch die Fischerei. Aale, Lachse, Neunaugen,
Makrelen und Heringe werden in großer Menge gefangen; sie werden frisch,
gesalzen und geräuchert oder mariniert nach allen Gegenden versandt. Während
die Gewerbthätigkeit nur an einzelnen Orten von Bedeutung ist, steht der
Handel in großer Blüte. Der Hauptsitz des pommerschen Seehandels ist
Stettin. Von hier aus gehen Dampfschiffe nach den Ostseestädten im Deutschen
Reiche, den skandinavischen Ländern, nach England und Rußland, und viele
der Waren, die aus fremden Ländern eingeführt werden, kommen über Stettin
nach Brandenburg, Schlesien und Posen.
6. Die Provinz wird in die 3 Regierungsbezirke Stettin, Köslin
und Stralsund eingeteilt.
Stettin (140 000 E.) ist eine bedeutende Handelsstadt und Festung; die
großen Seeschiffe kommen nur bis Swinemünde. In der Nähe Stettins befindet
sich eine der bedeutendsten Schiffsbauanstalten, der „Vulkan". Während noch
vor wenigen Jahrzehnten die deutschen Schiffe in England gebaut wurden,
stellt jetzt der Vulkan nicht nur die größten Panzerschiffe für unsere Flotte her,
sondern baut auch solche für fremde Regierungen. Stettin ist die bedeutendste
Fabrikstadt Pommerns.
Im Regierungsbezirk Köslin liegt Kolberg. In der traurigen Zeit von
1807 gaben der General Gneisenau und der tapfere Bürger Nettelbeck ein
Beispiel treuer Vaterlandsliebe, indem sie die vernachlässigte Festung, die jetzt
zum Teil geschleift ist, mit großer Tapferkeit und gutem Erfolge gegen die
Franzosen verteidigten. — Jetzt kommen nach Kolberg alljährlich mehrere
tausend Sommergäste, welche in der frischen Seelnst und durch Baden in der
See ihre Gesundheit kräftigen oder wiederherstellen wollen.
Stralsund, eine berühmte Handelsstadt, ist befestigt, aber mehr durch die
Natur als durch Kunst, da sie fast ganz von Wasser umgeben ist. Hier erlitten
die Dänen eine bedeutende Niederlage, und Wallenstein mußte mit einem Verluste
von 12 000 Mann abziehen, obgleich er geschworen hatte, „die Festung zu
erobern und wenn sie mit Ketten an den Himmel gebunden sei". Schill
überwältigte 1809 die französische Besatzung, versäumte aber, sich mit der
englischen Flotte in Verbindung zu setzen und fiel bei der heldenmütigen Ver-
teidigung Stralsunds im Kampfe. — Im Regierungsbezirk Stralsund liegt
Greifswald, die Universitätsstadt der Provinz.
Die schönste aller pommerschen Inseln ist Rügen, gegenüber Stralsund. Das
Meer macht tiefe Einschnitte in das Land, und nur schmale, niedrige Landstreifen
verbinden einzelne Teile mit der Hauptmasse. Vom Rugard, dem höchsten Berge der
Insel, vermag man die Insel wie eine Landkarte zu überschauen. Von da erblickt man