1890 -
Breslau
: Goerlich
- Hrsg.: Richter, Eugen, Hübner, Max
- Auflagennummer (WdK): 8
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
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waren groß und lebhaft, auf den schuldbewußten Frevler konnten sie Blitze des
Zornes schleudern. Durch viele Übung hatte er seinen Körper so gestärkt, daß er
mit leichter Mühe ein Hufeisen zerbrach oder einen geharnischten Mann schwebend
emporhielt.
Im Esten und Trinken war Karl sehr mäßig; er duldete niemand in seiner
Nähe, der dem Laster der Trunkenheit ergeben war. Speiste er mit den Seinigen,
so kamen nur vier Gerichte auf den Tisch; sein liebstes Gericht war Wildpret,
welches am Spieße gebraten war. Er schlief nur wenig; des Nachts stand er
oft auf, nahm die Schreibtasel zur Hand oder betete und betrachtete die Pracht
des gestirnten Himmels.
Seine Kleidung war so einfach, daß sie sich kaum von der eines Mannes
aus dem Volke unterschied. Er trug ein leinenes Hemd, von den fleißigen Händen
seiner Töchter gesponnen, darüber ein Wams und einen einfachen Rock; ferner
lange leinene Beinkleider, Strümpfe und Schnürschuhe. Nur bei festlichen Gelegen-
heiten sah man ihn im golddurchwirkten Mantel; dann waren auch Krone, Schwert
und Schuhe mit Edelsteinen besetzt.
5. Sein Tod und seine Nachfolger. Karl der Große starb im Alter
von 72 Jahren (814) und wurde zu Aachen begraben, wo er gern gelebt hatte.
Seine Nachfolger hießen nach ihm die Karolinger. Sein Sohn Ludwig der
Fromme war ein wohlwollender, aber schwacher König, unter dessen Regierung
viele der Einrichtungen Karls des Großen vernichtet wurden. Nach seinem Tode
brach unter seinen Söhnen ein blutiger Bruderkrieg aus. Derselbe wurde im
Jahre 843 durch den Vertrag zu Verdun beendigt. Das Reich Karls des
Großen zerfiel nach diesem in drei große Staaten: Italien, Frankreich und
Deutschland. Seitdem ist Deutschland ein selbständiges Reich.
Die letzten Karolinger waren schwache Herrscher, unter denen Deutschland
von fremden Völkern arg verwüstet wurde. Aus Skandinavien kamen auf kleinen
Schiffen die Normannen, welche die Meeresküsten verwüsteten, in die Flüsse ein-
liefen und die Umgegend durch Feuer und Schwert verheerten. Von Südosten
aber kamen die Ungarn, die alljährlich ihre Raubzüge wiederholten, Dörfer und
Klöster verbrannten und die unglücklichen Bewohner scharenweise in harte Ge-
fangenschaft schleppten. Von Osten endlich fielen die Slaven ein. — Der letzte
Karolinger, Ludwig das Kind, starb 911 aus Gram über das schreckliche Unheil,
das er nicht abwenden konnte. Nach seinem Tode wurde Deutschland ein Wahl-
reich.
7. König Heinrich I. (919—936).
1. Die Wahl Heinrichs I. Heinrich war Herzog von Sachsen, ein
tapferer und von seinem Volke geliebter Fürst. Als der deutsche König
Konrad aus dem Stamme der Franken auf dem Sterbebette lag, ermahnte
er die Fürsten, Herzog Heinrich zu wählen, da dieser der Würdigste sei. Die
Fürsten befolgten den Rat des sterbenden Königs und wählten Heinrich zum
deutschen Könige. Dieser war gerade mit Jagd und Vogelfang beschäftigt,
als er die Nachricht von seiner Erhöhung erhielt; deshalb führt er wohl auch
den Beinamen „der Finkler oder Vogelsteller".
2. Mieden mit den Ungarn. Nachdem Heinrich von allen deutschen
Fürsten anerkannt worden, suchte er zunächst die Raubzüge der Ungarn zu
verhindern. Sachsen, Schwaben, Franken und Elsaß waren durch diese aufs
neue verwüstet worden. Die Deutschen, die meist zu Fuße fochten, waren
fast machtlos gegen die Ungarn, die auf ihren kleinen Pferden pfeilschnell er-
schienen und verschwanden. Er schloß mit ihnen einen Waffenstillstand, während
dessen er ihnen eine jährliche Abgabe (Tribut) zahlen mußte.
3. Kau von Städten. Während der Fnedensjahre sorgte der König für
den Bau von Städten. Die Deutschen jener Zeit hatten große Abneigung
gegen das Wohnen hinter Wall und Mauern, daher konnten die wenigen Städte,