1913 -
Frankfurt a.M.
: Diesterweg
- Hrsg.: Stridde, H., Herrmann, Fritz, Schulze, Otto, Plönnigs, A., Hupfeld
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
38
begleitete ihn. Der Winter war überaus hart, und die Serge, über welche
der Übergang stattfand, starrten so von Schnee und Eis, datz man auf dem
schlüpfrigen und steilen Übhange weder zu Pferde noch zu Zutz ohne Gefahr
hinabsteigen tonnte, über die Wiederkehr des Tages, an welchem der König
in den Bann getan worden war, stand nahe bevor und duldete keine Verzögerung
der Reife. Deswegen mietete er um Sohn einige von den Eingeborenen, welche
der Gegend kundig und an die schroffen ülpengipfel gewöhnt waren, um seiner
Begleitung über die steilen Gebirgswände und Schneemassen voranzugehen
und den nachfolgenden mit allen Hilfsmitteln, deren sie kundig wären, die rauhen
Pfade zu ebnen. Mit diesen Führern gelangten sie mit größter Schwierigkeit
bis auf den Scheitel des Gebirges,- hier aber zeigte sich keine Möglichkeit, weiter
fortzukommen, weil der schroffe Übhang des Berges durch das Eis so schlüpfrig
war, datz er jedes heruntersteigen gänzlich zu versagen schien, hier nun
mutzten die Männer alle Gefahr mit ihren Rräften zu überwinden suchen,- und
auf Händen und Zützen kriechend und auf die Schultern ihrer Führer sich
stützend, bisweilen auch, wenn ihr Zutz auf dem schlüpfrigen Boden ausglitt,
fallend und weit fortrollend, langten sie doch endlich mit großer Lebensgefahr
in der Ebene an. Die Ronigin und andere Frauen, die in ihrem Dienste waren,
setzte man auf Gchsenhäute, und die zum Geleite vorausgehenden Wegweiser
zogen sie darauf abwärts, von den Pferden ließen sie einige mit Hilfe gewisser
Vorrichtungen hinunter, andere schleiften sie mit zusammengebundenen Zützen
hinab! viele von ihnen kamen um, mehrere wurden untauglich, sehr wenige
überstanden lebend und unverletzt die Gefahren.
Üis sich durch Italien der Ruf verbreitete, der Röntg sei angelangt und
befinde sich, nachdem er die rauhesten Rlippen überstiegen, schon innerhalb
der Grenzen Italiens, da strömten wetteifernd zu ihm alle Bischöfe
und Grafen Italiens und nahmen ihn, wie es sich für die königliche Hoheit
gebührte, mit den größten Ehrenbezeigungen auf, und binnen wenigen Tagen
versammelte sich um ihn eine unermeßliche Heeresmacht, weil das
Gerücht sich verbreitet hatte, der Röntg eile zornig herbei, freuten sie sich sehr,
datz ihnen Gelegenheit geboten sei, an dem, welcher sie schon längst von der
Rirchengemeinschaft ausgeschlossen hatte, ihre Schmach auf gehörige weise
rächen zu können.
Heinrich aber trat ihnen entgegen und sprach: „Richt um zu kämpfen,
sondern um Butze zu tun, bin ich gekommen!" —
Der Papst war eben aus dem Wege nach Deutschland. Er wollte in Üugs-
burg Gericht über den Gebannten halten. Üis er von des Kaisers Ünkunft horte,
glaubte er, er komme mit einem Heere. Schnell eilte er deshalb in das feste
Schloß Ranossa. über Heinrich kam nicht als üngreifender, sondern als
Ziehender.
f. Da die Burg mit einer dreifachen Mauer umgeben war, wurde Heinrich
in den Umkreis der zweiten Ringmauer aufgenommen, während sein Gefolge
außerhalb zurückblieb. Dort stand er nach Üblegung des königlichen Schmuckes
ohne jedes Zeichen königlicher würde, keinerlei Pracht zur Schau tragend, mit
entblößten Zützen. Er fastete vom Morgen bis zum Übend und erwartete den
Üusspruch des römischen Bischofs. Erst am vierten Tage durfte er vor dem
Papste erscheinen, und nach vielen Reden und Gegenreden wurde er zuletzt unter
folgenden Bedingungen vom Banne losgesprochen: er solle sich auf einer
allgemeinen Zürstenversammlung, die der Papst einberufen werde, einfinden
und dem Richterspruch unterwerfen: er möge nun das Reich behalten oder
verlieren, so solle er wegen dieser Demütigung keine Rache an irgendeinem