1913 -
Frankfurt a.M.
: Diesterweg
- Hrsg.: Stridde, H., Herrmann, Fritz, Schulze, Otto, Plönnigs, A., Hupfeld
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
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Luther im Kloster.
Es war an einem Sommertage des Jahres 1505. Da klapste Luther an die
psorte des Klosters. Kasch ösfnete sich diese, und rasch schloß sie sich hinter ihm.
Draußen warteten die betrübten Freunde, aber der Jüngling kam nicht wieder.
Schon am folgenden Tage wurde er feierlich aufgenommen. Der Prior des
Klosters hielt eine Ansprache an ihn, und Luther gelobte, stets gehorsam zu sein,
nichts mehr sein Eigentum zu nennen und immer keusch und sittlich zu leben.
Daraus sprachen die Mönche Gebete, sangen feierliche Lieder und kleideten den
neuen Kruder ein.
Der Neueingetretene (Novize) hatte zuerst ein Probejahr zu bestehen. Zur
Zreude der Mönche mußte der frühere Magister die niedrigsten Arbeiten im
Kloster verrichten, die Türen schließen, die Stuben fegen und mit dem Kettel-
saäe durch die Straßen der Stadt laufen. In der Klosterkirche mußte er zu den
täglichen sieben Betstunden erscheinen, zuerst um Mitternacht, dann beim ersten
hahnenträhen, dann um sechs, neun, zwölf, drei und am Übend. Außerdem
betete er fleißig für sich und las so eifrig in der lateinischen Bibel, daß er jeden
Spruch beim ersten Griffe fand,- dazu stäupte und geißelte er sich und legte sich
alle nur denkbaren Oualen auf,- einmal aß er drei Tage nicht und kämpfte vor
Gott im Gebet. Die Mönche spotteten darüber, nahmen ihm das Buch weg
und sagten: „Mit Ketteln und nicht mit Studieren dient man dem Kloster."
Er selbst erzählt später über sein Klosterleben: „Es hat Gott gewollt, wie
ich nun sehe, daß ich der hohen Schulen Weisheit und der Klöster Heiligkeit aus
eigener und gewisser Erfahrung, das ist aus vielen Sünden und gott-
losen werten erführe, damit das gottlofe Volt nicht wider mich, ihren zukünftigen
Gegner, zu prangen hätte, als der unerkannte Dinge verdammet. Darum bin
ich ein Mönch gewesen."
„Mein Vater war übel zufrieden und wollte mir's nicht gestatten,- er ant-
wortete mir schriftlich wieder und hieß mich Du — vorher hieß er mich Ihr,
weil ich Magister geworden — und sagte mir alle Gunst ab."
„wahr ist's, ein frommer Mensch bin ich immer gewesen und habe meinen
Orden so streng gehalten, daß ich's nicht aussagen kann. Ist je ein Mönch in
den Himmel kommen durch Möncherei, so wollte ich auch hineinkommen sein.
Das müssen mir bezeugen alle Klostergesellen, die mich gekannt haben. Denn
ich hätte mich, wo es länger gewährt hätte, noch zu Tode gemartert mit wachen,
Keten, Lesen und anderer Arbeit."
Andere dachten freilich darüber anders, die sagten: „Unter dem Mönchs-
tleide ruht ein schlimmes herz", oder: „wer dem Satan will dienen, der gehe
in ein Kloster". —
Luthers Priesterweihe: Als Luther zum Priester geweiht werden
sollte, lud er auch seinen Vater und seine Verwandten zu der Zeier ein. Diese
kamen mit zwanzig Pferden ins Kloster geritten, und der Vater schenkte ihm
zwanzig Gulden.
In der Klosterkirche versammelten sich viele angesehene Personen, geist-
liche und weltliche Herren. Der Bischof legte samt allen Priestern die Hände
auf das Haupt des jungen Mönches. Dann hing er ihm das priestertleid über
die Schulter und salbte ihm die Hände mit dem heiligen Gl. Darauf reichte
er ihm den Kelch mit dem wein und fprach: „Nimm hin das Amt, Messe zu
feiern für Lebende und Tote!" Zuletzt legte er ihm nochmals die Hände auf und
sprach: „Nimm den heiligen Geists welchen du die Sünden erlassen wirst, denen
sind sie erlassen, und welchen du sie behalten willst, denen sind sie behalten."