1913 -
Frankfurt a.M.
: Diesterweg
- Hrsg.: Stridde, H., Herrmann, Fritz, Schulze, Otto, Plönnigs, A., Hupfeld
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten, Mittlere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
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(Ein Brief Molikes an feinen Bruder.
Versailles, den 22. Dezember 1870.
Lieber Adolf!
Gestern haben die Franzosen wieder mit großem Aufwand von Mitteln
einen ihrer vergeblichen versuche gemacht, auszubrechen. Ivie die Hühner
durch Gackern verkünden, daß sie ein Ei legen wollen, so zeigen die pariser ihre
übsicht durch ein wütendes Kanonenfeuer aus allen Forts an. Am vormittag
fanden dann Truppenbewegungen statt, die jedoch sogleich als Scheinbewegungen
erkannt wurden. Dem wahren Angriff in nordöstlicher Richtung waren schon
abends zuvor unsere Reserven entgegengestellt. Dort griffen volle drei fran-
zösische Divisionen an und wurden an allen Punkten zurückgeschlagen, Abends
halten wir alle Stellungen wieder beseht, und ich bin neugierig auf die nächste
Siegeskunde aus Paris. Die allgemeine Sehnsucht nach Beendigung dieses
furchtbaren Krieges läßt in der Heimat vergessen, daß er erst fünf Monate dauert:
man hofft alles von einer Beschießung von Paris, von drei Seiten sind mir
schon die Verse zugeschickt:
Guter Moltke, gehst so stumm immer um das Ding herum.
Bester Moltke, sei nicht dumm, mach' doch endlich: bum bum bum!
Die Not in Paris ist sehr groß und steigt von Tag zu Tag. Nahrungsmittel
werden mit jedem Tage seltener. Oer preis für ein gewöhnliches Essen ist un-
erschwinglich. Fast alle Tiere des Zoologischen Gartens sind verzehrt worden.
Hunde und Katzen sind Seltenheiten geworden. Unter der armen Bevölkerung
ist die Sterblichkeit eine sehr hohe. So wird wohl schon die Not die Übergabe
herbeiführen. Dein Bruder Helmut.
Proklamation -es Deutschen Kaiserreichs (18. Januar 1871).
An das deutsche Volk!
wir Wilhelm, von Gottes Gnaden König von Preußen, nachdem die
deutschen Fürsten und freien Städte den einmütigen Ruf an uns gerichtet haben,
mit Herstellung des Deutschen Reiches die seit mehr denn 60 Jahren ruhende
deutsche Kaiserwürde zu erneuern und zu übernehmen, und nachdem in der
Verfassung des Deutschen Bundes die entsprechenden Bestimmungen vorgesehen
sind, bekunden hiermit, daß wir es als eine Pflicht gegen das gemeinsame Vater-
land betrachtet haben, diesem Rufe der verbündeten deutschen Fürsten und Städte
Folge zu leisten und die deutsche Kaiserwürde anzunehmen. Demgemäß werden
wir und unsere Nachfolger an der Krone Preußens fortan den kaiserlichen Titel
in unseren Beziehungen und Angelegenheiten des Deutschen Reiches führen
und hoffen zu Gott, daß es der deutschen Nation gegeben sein werde, unter dem
Wahrzeichen ihrer alten Herrlichkeit das Vaterland einer segensreichen Zu-
kunft entgegenzuführen, wir übernehmen die kaiserliche würde in dem Be-
wußtsein der Pflicht, in deutscher Treue die Rechte des Reiches und seiner Glieder
zu schützen, den Frieden zu wahren, die Unabhängigkeit Deutschlands, gestützt
auf die geeinte Kraft seines Volkes, zu verteidigen, wir nehmen sie an in der
Hoffnung, daß dem deutschen Volke vergönnt sein wird, den Lohn seiner heißen
und opfermütigen Kämpfe in dauerndem Frieden und innerhalb der Grenzen
zu genießen, welche dem vaterlande die seit Jahrhunderten entbehrte Sicherung
gegen erneute Angriffe Frankreichs gewähren. Uns aber und unseren
Nachfolgern an der Kaiserkrone wolle Gott verleihen, allzeit
Niehrer des Deutschen Reichs zu sein, nicht an kriegerischen