1906 -
Berlin
: Nicolai
- Hrsg.: Hausen, Friedrich, Thiel, Oswald, Dahms, Gustav, Werner, Anton von, Zissel, Adolf, Brücke, Th., Ruthe, Paul
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
108
Krankheit, Betriebsunfälle, Alter und Invalidität betraf. Hierdurch wurde die
soziale Gesetzgebung eingeleitet.
3. Kurzer Inhalt der Fürsorgegesetze. Zuerst erschien das Kranken-
versicheruugsgesetz (1883; 1892 und 1903 abgeändert). Nach diesem Gesetz
erhält der erkrankte Arbeiter freie ärztliche Behandlung, die notwendigen
Heilmittel und eine gewisse Summe Krankengeld auf 26 Wochen bis zu 1 Jahre
(Näheres s. Rechenheft!). Durch das Unsallversicherungsgesetz (1884,
1900) wird für solche Arbeiter gesorgt, die in ihrem Berufe verunglücken.
Die Unfallversicherung trägt die Kosten des Heilverfahrens von der 27. Woche
au und zahlt au den Verunglückten oder seine Angehörigen eine entsprechende
Rente (Geldbetrag). Auf Grund der Jnvaliditätsversicherung erhält
jeder Arbeiter, der ohne seine Schuld erwerbsunfähig wird, eine angemessene
Reute, wenn er wenigstens 200 oder 500 Wochcubeiträge geleistet hat. Die
Altersrente erhält ein Versicherter nach Vollendung des 70. Lebensjahres,
wenn für ihn mindestens 1200 Wochenbeiträge geleistet sind.
4. Segen der Fürsorgegesehe. Diese Gesetze trugen wesentlich zur Be-
ruhigung der Arbeiter und ihrer Angehörigen bei, unter denen sie viel Kummer
und Sorge, Entbehrung und Not linderten. Im Jahre 1900 waren bereits
über 40 Mill. Arbeiter versichert, und 2oo Mill. Mark Unterstütznngsgelder
waren gezahlt worden.
s) Erwerbung von Kolonien. Schon der Große Kurfürst hatte mit der
Begründung einer Kolonie in Afrika an der Sklavenküste einen Versuch
gemacht und einen Tauschhandel mit den Negerstämmen eingeführt, aber
Friedrich Wilhelm I. verkaufte die Kolonie aus Sparsamkeitsrücksichten an
die Holländer. Seitdem ruhte fast 2oo Jahre jedes koloniale Unternehmen
in Deutschland. Erst im 19. Jahrhundert wieder gründeten deutsche Kaufleute
an verschiedenen Stellen der West- und Südwestküste Afrikas Handelsnieder-
lassungen, teils um den Erzeugnissen aus der Heimat neue Absatzgebiete zu
verschaffen, teils um die fremden Rohstoffe ohne Vermittelung der Engländer
und Holländer im Mntterlande einzuführen. Aber die deutschen Kaufleute
hatten unter der Feindseligkeit der fremden Händler und unter den Gewalt-
taten der Eingeborenen viel zu leiden, so daß sie sich (1884) an die Behörden
des Deutschen Reiches um Schutz und Hilfe wandten. Ter deutsche Reichs-
kanzler, Fürst Bismarck, trat warm für die Gewährung der erbetenen Hilfe
ein. Mehrere deutsche Kriegsschiffe stellten an der Westküste Afrikas die Ruhe
her, hißten an einigen Orten die deutsche Flagge und nahmen mehrere Landes-
teile für das Reich in Besitz. So wurden zunächst Togo, Kamerun und
Deutsch-Südwestafrika, kurze Zeit darauf auch Densich-Ostafrika, 1885 ln der
Südsee Kaiser-Wilhelmsland, der Bismarck-Archipel und die Salomoninseln,
später auch die Marschallinseln und Samoa-Inseln erworben. Hierdurch
gewann der deutsche Handel bedeutende Absatzgebiete und die deutsche Ansied-
lnng teilweise recht ertragreiche Länderstrecken. Der deutschen Flotte wurden
wichtige Flotten- und Kohlenstationen in den fernen Weltmeeren geschaffen;
Deutschland trat in die Reihe der großen Kolonialstaaten und erwarb beträcht-
liche Anteile bei der immer weiter greifenden Aufteilung der Erdräume.