1902 -
Leipzig
: Hofmann
- Autor: Polack, Friedrich
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Bürgerschule, Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mittlere Lehranstalten, Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
I
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sie vor dem Könige und verkündigte ihm, daß Gott sie gesandt habe, um
Orleans zu befreien und ihn zur Krönung nach Reims (Rangs) zu führen.
Ihre göttliche Sendung bewies sie durch überzeugende Proben. Mit einer
weißen Fahne in der Hand stellte sie sich an die Spitze eines Heerhaufens,
riß die Krieger durch ihr Beispiel zur Begeisterung hin, schlug die Engländer,
entsetzte das halbverhungerte Orleans und führte den König zur Krönung
nach Reims. Unbeschreiblich war der Jubel und die Begeisterung des Voltes.
Rach der Krönung sagte die Jungfrau: „Edler König! Gottes Wille ist nun
erfüllt; laßt mich wieder zu den Meinen gehen!" Aber alle bestürmten sie so
lange mit Bitten, bis sie mit Widerstreben blieb. Von da ab verließ sie das
Glück, ja endlich fiel sie gefangen in die Hände der Engländer, die sie nach
langer, qualvoller Kerkerhaft als Zauberin zum Tode verurteilten. Auf dem
Markte in Rouen (Ruang) wurde sie 1431 verbrannt. Betend gab sie
ihren Geist auf. Später wurde der Jungfrau von Orleans ein Denkmal
errichtet und ihr zu Ehren ein Volksfest gefeiert. —
Von der Schweiz drang die Reformation auch nach Frankreich und fand
hier zahlreiche Anhänger, die Hugenotten hießen. Ihre Häupter waren der
König von Navarra und der Admiral Coligny, ihre heftigsten Gegner
die Königin-Mutter, Katharina von Mediei, und der Herzog von Guise.
Lange Bürger- und Religionskriege wüteten zwischen diesen Parteien. Plötzlich
stellte die Königin alle Feindseligkeiten ein, ja vermählte ihre Tochter mit
dem jungen Könige Heinrich von Navarra. Zu der Hochzeit wurden alle
Hugenotten freundlich nach Paris eingeladen. Ahnungslos folgten die meisten.
Der junge König Karl Ix. begrüßte den edlen Admiral Coligny als seinen
Vater und den Tag, da er ihn endlich in Paris habe, als den glücklichsten
seines Lebens. Aber seine ruchlose Mutter hetzte so lange an ihm und wußte
ihm vor den Anschlügen der Hugenotten so bange zu machen, daß er endlich
einwilligte, in der Hochzeits - (Bartholomäus-) Nacht am 24. August 1572
alle Hugenotten ermorden zu lassen. Eine Glocke im königlichen Schlosse gab
das Zeichen zum Anfange des Gemetzels. Blutgierig, mit weißen Binden
um den linken Arm, durchrasten die Henker die Straßen und drangen in alle
Häuser, wo Hugenotten wohnten. Eins der ersten Opfer war Coligny.
Beim Anblick der nächtlichen Menschenjagd schrie der König heiser vor Auf-
regung vom Balkon seines Schlosses: „Tötet! Tötet!" und soll selbst auf
flüchtige Hugenotten geschossen haben. Heinrich von Navarra rettete sein
Leben nur dadurch, daß er seinen protestantischen Glauben abschwur. In
Paris fielen 2000 Hugenotten bei dieser Bluthochzeit. Von hier verbreitete
sich das Gemetzel in das ganze Land, und wenigstens 20 000 kamen noch um.
Nur einzelne Statthalter befleckten ihre Hände und ihr Gewissen nicht mit
dieser Schlächterei. Einer schrieb aus Bayonne: „Majestät, ich habe nur
gute Bürger und Soldaten unter Ihren Unterthanen gefunden, aber keinen
Henker." In allen Kirchen wurden nach dem dreitägigem Gemetzel Lobge-
sänge angestimmt, und auch der Papst ordnete ein Dankfest an. Den jungen
König aber ließ sein Gewissen nicht wieder zur Ruhe kommen. Er siechte
elend hin und starb kaum 24 Jahre alt. Sein Bruder und Nachfolger, der
letzte König aus dem Hause Valois, wurde von einem Mönch ermordet.
Nach langen, furchtbaren Kämpfen wurde endlich Heinrich Iv. von
Navarra aus dem Hause Bourbon nach dem Siege bei Jvry 1590
zum Könige gewählt. Durch eine weise Regierung heilte er die schweren
Wunden des Landes. Den Hugenotten gewährte er Duldung durch das
Edikt von Nantes 1598. Wie sehr ihm das Wohl seines Volkes am