1911 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Medrow, P., Kahnmeyer, Ludwig, Gieseler, Albert, Schulze, Hermann, Borchers, Emil, Baade, Friedrich
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
I
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städtische Bürgertum selbständig in die Ereignisse eingriff. Es hatte erkannt,
daß Handel und Wandel nur unter einem starken Königtum gedeihen kann. Die
Sachsen zerstörten nun die Burgen und verbrannten die Kirchen. Ja sie rissen
die modernden Gebeine von Heinrichs Sohn und Bruder aus der Gruft und
streuten sie umher. Solche Roheit und Heiligtumsschändung brachte die Fürsten
und Bischöfe wieder auf Heinrichs Seite. In der blutigen Schlacht bei Langen-
salza a. d. Unstrut wurden die Sachsen besiegt. Aber Heinrich mißbrauchte in
törichter Verblendung seinen Sieg. Denn er ließ sofort die im Sachsenlande
zerstörten Burgen wieder Herrichten, nahm viele vornehme Sachsen gefangen und
zog ihre Güter ein. Auch gab er die gefangenen Bischöfe nicht frei, obgleich
Papst Gregor Vii. solches von ihm forderte; dadurch schuf er sich in diesem
einen neuen, sehr mächtigen Feind.
4. Heinrick irn kann. Heinrich besetzte, wie das bisher üblich gewesen
war, deutsche und italienische Bistümer. Da erschien ein Gesandter des Papstes
bei Heinrich und verlangte von diesem, daß er die durch Simonie in ihre Stelle
gelangten Bischöfe absetze und sich fortan der Belehnung der Bischöfe vollständig
enthalte. Dazu kam noch, daß Heinrich von den Sachsen eines lasterhaften
Lebenswandels angeklagt war. Der Papst drohte ihm deshalb, daß er ihn in
den Bann tun werde, wenn er nicht „bis zur nächsten Fastensynode" (einem
geistlichen Gerichte) Beweise seiner Sinnesänderung gegeben habe. Empört über
solche Anmaßung, ließ Heinrich den Papst auf einer Versammlung von 26 deutschen
Bischöfen in Worms absetzen und schrieb „an Hildebrand, nicht den Papst,
sondern den falschen Mönch": „Steige herab, verlaß den angemaßten apostolischen
Stuhl!" Aber der Papst schreckte vor den Drohungen Heinrichs nicht zurück.
Im Gegenteil, er tat, was noch kein Papst vor ihm gewagt hatte, und sprach
über den König den Bann aus und alle seine Untertanen von dem Eide der
Treue los. Anfangs lachte Heinrich darüber. Den Herzögen aber war die Ab-
setzung des Kaisers sehr willkommen, und auch von den Bischöfen stellte sich
einer nach dem anderen auf die Seite des Papstes. Bald erklärten die deutschen
Fürsten, sie würden einen anderen König wählen, wenn Heinrich nicht binnen
Jahresfrist vom Banne gelöst sei. Sie luden den Papst zum Frühjahre nach
Augsburg ein, damit er die deutsche Angelegenheit regele. Das war dem Papst
ganz nach dem Sinn. Heinrich aber hätte wahrscheinlich seinen Thron verloren.
5. keife nach Italien. In dieser gefährlichen Lage überraschte Heinrich seine
Gegner durch einen wohl überlegten Entschluß: er wollte als Büßer nach Italien
ziehen und sich als sündiger Mensch vor dem Priester demütigen. Dann durfte ihm
der Papst die Lösung vom Banne nicht versagen. Damit war auch der Bund der
beiden mächtigen Feinde gesprengt und den Fürsten der Grund zu einem Abfall ge-
nommen. Im Winter des Jahres 1077 trat er mit seiner Gemahlin, seinem drei-
jährigen Söhnlein und einem kleinen Gefolge die harte Reise über die Alpen an.
Die süddeutschen Fürsten wollten die Absicht des Königs vereiteln und ihn nicht
durchlassen. Er mußte den Umweg über den Mont Cenis machen. Das war ein furcht-
barer Weg. Es herrschte ein besonders strenger Winter. Die Pfade lagen unter tiefem
Schnee verborgen. Die Männer krochen auf Händen und Füßen und waren in beständiger
Angst, in den gähnenden Abgrund hinabzurollen. Die Königin und ihre Frauen wurden
in Rinderhäute gewickelt und so von den Führern hinabgezogen. Zum Tode erschöpft
kamen die Reisenden in der Ebene an.