1909 -
Leipzig [u.a.]
: Teubner
- Autor: Lehmann, Richard, Franke, Max, Szymanski, Theodor, Lorenz, Paul, Schmeil, Otto
- Auflagennummer (WdK): 5
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Konfession (WdK): Römisch-Katholisch
102
Geschichte
I
häufig ermahnte sie ihre beiden ältesten Söhne Friedrich Wilhelm und Wilhelm, die alt
genug waren, um das Unglück Preußens zu verstehen, tüchtige Männer zu werden, damit
sie das Vaterland aus der Erniedrigung einst zu erretten vermöchten.
6. Preußisch-Eylau und Zrèedland. Im Unfange des Iahres 1807 war ein
russisches Heer zur Unterstützung Preußens herangerückt. Ls kam bei Preußisch-Lplau zu
einer hartnäckigen, zweitägigen Schlacht. In dieser verhinderte der preußische General
Scharnhorst durch sein rechtzeitiges Eingreifen und durch seine Geschicklichkeit, daß Napoleon
den Sieg erstritt. Vas blutige Ningen blieb unentschieden. Nach der Schlacht bot Napoleon
Friedrich Wilhelm Iii. Frieden an, wenn er sich von Nußland trenne. Der Nönig war
aber zu ehrenhaft, um den Kaiser Ulexander im Stich zu lassen. Venn dieser hatte zu
ihm gesagt: „Nicht wahr, keiner von uns fällt allein? Entweder beide zusammen oder
keiner!" Lr lehnte daher Napoleons Vorschläge ab. — Einige Monate später wurde
aber das russische Heer bei Friedland von Napoleon vernichtet.
7. Der Friede zu Tilsit. Entmutigt durch die Niederlage von Friedland brach
Kaiser Ulexander sein Wort. Napoleon verstand auch, seiner Eitelkeit zu schmeicheln. In
einer Unterredung stellte er ihm die Teilung der Weltherrschaft zwischen Nußland und
Frankreich in Uussicht. Da gab Ulexander Preußen der Nache des übermütigen Siegers
preis. Furchtbar hart waren die Friedensbedingungen, die Napoleon Preußen auferlegte.
Ulle Besitzungen westlich der Elbe mußten abgetreten werden. Napoleon forderte außer-
dem ungeheure Kriegskosten, die er später sogar noch willkürlich erhöhte. Bis zu ihrer
Zahlung mußten 160 000 Mann französischer Truppen, die die preußischen Festungen be-
setzt hielten, ernährt werden. Über 1000 Millionen Mark wurden dem unglücklichen Lande
in zwei Jahren abgenötigt. Um eine Wiedererhebung Preußens unmöglich zu machen,
durfte Friedrich Wilhelm nur ein Heer von 42000 Mann unterhalten. Bus Liebe zum
vaterlande gewann es die Königin Luise über sich, den stolzen Eroberer persönlich um
mildere Friedensbedingungen zu bitten. Das Opfer wurde aber von ihr umsonst ge-
bracht: Napoleon blieb auch gegen ihre Bitten taub. — Hus den Gebieten westlich der
Elbe bildete Napoleon das Königreich Westfalen, dessen Hauptstadt Kassel wurde, und
setzte einen seiner Brüder zum Könige ein.
Die Kontinentalsperre. Das einzige Land, das Napoleon noch unbesiegt wider-
stand leistete, war England. In zwei Seeschlachten war die sianzösische Flotte von der englischen
vernichtet worden. Kein sianzösisches Schiff durfte wagen, den schützenden Hafen zu verlassen.
Um das verhaßte Land zu schädigen, verbot Napoleon allen von ihm beherrschten Neichen, mit
England Seehandel zu treiben. Ruch Preußen und Nußland wurden genötigt, ihre Häfen den
englischen Schiffen zu verschließen, so daß das gesamte europäische Festland, der „Kontinent",
für sie gesperrt war. Nile fremden waren, wie Kaffee, Neis, Zucker, Tee, Gewürze usw.,
wurden dadurch unerschwinglich teuer, und die Länder, die von der Kontinentalsperre betroffen
wurden, erlitten großen Schaden. Nn den Meeresküsten entwickelte sich bald ein lebhafter
Warenschmuggel.
8. Preußens Erneuerung. a) Reichsfreiherr von Stein. Friedrich Wilhelmiii.
sah ein, daß alle Kräfte des preußischen Volkes aufgeboten werden mußten, wenn man
sich von dem Ioche Napoleons wieder befreien wollte. Der Mann, der dem Könige bei
dieser schweren Rufgabe als Ratgeber zur Seite stand, war der Reichsfreiherr von Stein.
Er war wegen seiner vornehmen Gesinnung hochgeachtet, wegen seines schroffen Wesens
aber auch gefürchtet. Mit klarem Blicke erkannte er, daß Vaterlandsliebe und Ehrgefühl
im Volke von neuem geweckt werden müßten. Ls galt, den Bewohnern Preußens wieder
vertrauen auf die eigene Kraft einzuflößen und sie an selbständiges handeln zu gewöhnen.