1895 -
Bielefeld [u.a.]
: Velhagen & Klasing
- Autor: Schulze, Hermann, Kahnmeyer, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 12
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Schülerbuch
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
12. Die Sauerkirsche.
1. Blüte. Unter den Obstbäumen im Garten ist der Kirschbaum der erste, der
unser Äuge mit seiner Blütenpracht erfreut. Noch wagen sich die Laubblätter nicht
recht hervor aus ihrer schützenden Knospenhülle — aber die Blüten können der locken-
den Frühlingssonne nicht widerstehen und verlassen keck und mutig ihr dunkles
Winterkämmerchen. Und wie prächtig sticht der weiße Blütenschnee von den dunklen
Zweigen ab! Je 2—5 Blüten stehen nebeneinander. Der Kelch hat die Form eines
glockenförmigen Napfes. Die Blütenblätter sind auf dem Kelchrande angeheftet.
Dort sitzen auch die zahlreichen Staubblätter, während der einzige Stempel auf dem
„Fruchtboden" steht. Fruchtboden nennt man nämlich das Ende des Blütenstiels,
auf dem die Blüte ruht. Unterscheide Fruchtboden und Fruchtknoten (S. 176)!
(Kirschfrucht S. 210.)
2. Stamm. Blätter. Der Stamm ist mit graubrauner Rinde umgeben, die
in der Jugend glatt ist, später aber leicht querrissig wird. Wenn mau sie verletzt, so
trennt sie sich leicht vom Stamme. An der verletzten Stelle aber dringt bernsteingelbes
Kirschgummi hervor. Es sieht aus wie Kandis, weshalb auch die Kinder wohl
einmal an ihm lecken. Sein Geschmack ist aber gar nicht schön. — Die Blätter
stehen an älteren Zweigen in Büscheln, an den jungen dagegen einzeln. Ihr Rand
ist mit Zähnen versehen wie eine Säge. (Vergl. die Sauerkirsche mit der Süßkirsche!)
13. Knospen.
1. Knospenbildung. Wir brechen vor Entfaltung der Blüten und Blätter Zweig-
lein von verschiedenen Bäumen. Deutlich noch sehen wir Narben, welche die Blätter
hinterließen, als „sie im vergangenen Herbste bei den rauhen Sturmwinden vom
Baume fielen. Über jeder Narbe aber hat sich schon im vorigen Spätsommer eine
Knospe gebildet, in welcher wohlverwahrt Blätter, Blüten oder Triebe des nächsten
Jahres schlummern. Braune, lederartige Schalen umschließen die zarten Gebilde so
eng und dicht, daß ihnen selbst die grimmigste Kälte nichts anhaben kann. Berühren
wir die Knospen mancher Bäume (z. B. die der Roßkastanie) im Frühjahr mit dem
Finger, so bemerken wir, daß sie klebrig sind. Diese klebrige Masse wird von kleinen
Drüsenhaaren ausgeschieden. Sie dient dazu, die Knospenschuppeu noch fester mit-
einander zu verkleben und so das Eindringen der Kälte und Feuchtigkeit um so mehr
zu verhindern. Sobald nun der Saft im Frühjahr in die Bäume steigt, gelangt er
auch an die Knospen. Diese schwellen an. Die Hülle zerplatzt, die Schuppen werden
abgestoßen — und die jungen Blätter und Blüten dringen hervor. — Zuweilen aber
werden die zarten Sprossen durch Nachtfröste oder durch Raupen wieder vernichtet.
Doch auch in diesem Falle bleiben die Zweige nicht kahl. Unter der Rinde liegt näm-
lich bei jeder Knospe noch eine sogenannte Schlafknospe verborgen, die sich nur dann
entwickelt, wenn die Hauptknospe durch irgend einen Umstand vernichtet worden ist.
2. Knospenarten. Manche Knospen bergen nur Blüten, andere nur Blätter und
noch andere Blüten und Blätter zusammen. Wir unterscheiden demnach Blüten-
knospen, Blattknospen und gemischte Knospen. An der Stärke der Knospen weiß der
Gärtner im Herbste bereits zu beurteilen, ob der Obstbaum viel „Trag- oder Frucht-
knospen" hat; denn die Blütenknospen, und besonders die gemischten Knospen, sind
stärker als die Blattknospen.
14. Der Apfelbaum.
1. Blüten. Ein Apfelbaum in seiner Blütenpracht gewährt einen überaus herr-
lichen Anblick und ist so recht geeignet, unser Gemüt zu dem allmächtigen Schöpfer
emporzuziehen. „Mich," ruft der Baum in seiner Pracht, „mich," ruft die Saat,