1907 -
Leipzig [u.a.]
: Teubner
- Hrsg.: Franke, Max, Schmeil, Otto
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schultypen (WdK): Simultanschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Simultanschule
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Konfession (WdK): Konfessionell gemischt
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Geschichte.
I
großen Friedrichs der ganzen Welt Trotz geboten und bisher für unbesiegbar
gegolten hatte, war geschlagen.
4. Der Zusammenbruch der preußischen Heerwesens. Die alten Generale
wurden von furchtbarem Schrecken befallen und verloren völlig Ruhe und Besinnung.
Die starken Festungen Erfurt, Magdeburg, Spandau, Küftrin, Stettin, die den Feind
lange Zeit hätten aufhalten können, wurden mit Kriegsvorräten und Besatzungen ohne
Schwertstreich übergeben. Schon zehn Tage nach der Schlacht bei Jena konnte Napoleon in
Berlin als Sieger einziehen, und nur mit Mühe brachte der Minister von Stein die Staats-
kasse in Sicherheit. hohe Kriegssteuern wurden dem besetzten Sande aufgelegt, viele Kunst-
schätze, u. a. die Siegesgöttin vom Brandenburger Tore, ließ Napoleon nach Paris bringen;
auch Hut und Degen Friedrichs des Großen wurden als Siegesbeute weggeführt. —
Die Trümmer der preußischen Nrmee ergaben sich bei prenzlau. Der General Blücher
aber wahrte den alten preußischen Waffenruhm. Er schlug sich tapfer mit einer kleinen
Nbteilung bis Lübeck durch, mußte sich jedoch schließlich aus Mangel an Lebensmitteln
und Pulver gleichfalls gefangen geben. Sn Kolberg hinderte die Bürgerschaft unter
Führung des alten, entschlossenen Schiffskapitäns Nettelbeck den altersschwachen Kom-
mandanten, die Stadt zu übergeben. Nus ihre Bitte sandte der König den Major von
Gneisenau zur Leitung der Verteidigung. Dieser hielt die Festung, trotzdem sie furchtbar
beschossen wurde, bis zum Friedensschlüsse, kräftig unterstützt von den Bürgern und dem
tapfern Husarenrittmeister von Schill. Buch einige andre kleine Festungen wurden wacker
verteidigt: in Graudenz forderten die Franzosen den alten General von Eourbiere
auf, die Festung zu übergeben; denn ,,es gäbe keinen König von Preußen mehr". Er
antwortete stolz: ,,So gibt es wenigstens noch einen König von Graudenz" und hielt
die ihm anvertraute Feste. Die Treue und Tüchtigkeit einzelner mutiger Männer konnte
jedoch das Unglück nur wenig aufhalten.
Uber nicht nur im Heere, auch bei einem großen Teile des preußischen Volkes
schienen Vaterlandsliebe und Mannesmut geschwunden zu sein. Statt zu versuchen,
dem Feinde widerstand zu leisten und die Schmach von Jena auszulöschen, zeigte
die Bevölkerung dem geschlagenen Heere gegenüber offene Schadenfreude und unter-
warf sich willig der französischen Herrschaft. Deutsche Zeitungen druckten Siegeslieder
der Franzosen und Lobreden auf ihre Feldherren. Man buhlte sogar offen um die
Gunst Napoleons, indem man ihn in den Städten feierlich empfing.
5. Die Flucht der königlichen Familie. Die königliche Familie war nach der
Niederlage von Jena und Nuerftädt nach Graudenz geflohen. Da die Franzosen aber
schnell bis zur Weichsel vordrangen, mußte sie die Flucht nach Königsberg und schließlich
bis nach dem entlegenen Memel fortsetzen. Er war Winter; Nässe und Kälte machten
die Reise, die oft in einfachen Bauernwagen zurückgelegt wurde, besonders auf der rauhen
Kurischen Nehrung sehr beschwerlich. Nach langer Fahrt in dichtem Schneegestöber mußte die
Königin in einer Bauernhütte, durch deren zerbrochene Fensterscheiben wind und Kälte
eindrangen, übernachten. Obgleich die edle Frau durch das Unglück gebeugt und körperlich
leidend war, verlor sie Mut und Gottvertrauen nicht, häufig ermahnte sie ihre beiden
ältesten Zähne Friedrich Wilhelm und Wilhelm, die alt genug waren, um das Unglück
Preußens zu verstehen, tüchtige Männer zu werden, damit sie das Vaterland aus der
Erniedrigung einst zu erretten vermöchten.
6. preußisch-Eylau und Friedland. Sm Rnfange des Jahres 1807 war ein
russisches Heer zur Unterstützung Preußens herangerückt. Es kam bei preußisch-Eylau