1906 -
Berlin
: Klinkhardt
- Autor: Sandt, Hermann, Jütting, Wübbe Ulrich, Heinemann, Karl, Weber, Hugo
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
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105. Die Moose.
überall im Reiche der Gewächse, welche den Schemel der Füße
Gottes schmücken, findet der Sinn für Schönheit reiche Nahrung.
Aus allen Pfianzengebilden leuchtet der empfindenden Seele bei
näherer Betrachtung Anmut und Lieblichkeit entgegen.
Wir können nicht sagen, welche unter den Pflanzen die schönste
sei; denn jede ist schön in ihrer eigentümlichen Weise, von dem ge-
ringsten Moospflänzchen an bis zu dem Weinstock und der königlichen
Palme, und jede Pslanzenart wird immer schöner, je näher wir sie
kennen, je deutlicher das eigentümliche innere Leben und ihre Aus-
gabe im Haushalte der Natur uns vor die Seele tritt. Anmut, Eben-
maß und Harmonie zur Darstellung eines eigentümlichen sinnigen
Gottesgedankens finden wir in jeder Pflanzenfamilie. Man betrachte
z. B. die bescheidenen Moose.
2. Aus den Fugen der Felsblöcke, über welche die klare Quelle
perlt, sprossen die winzigen Moospflänzchen in wundervoller Zartheit
und Frische. Im Silberschaume des Wasserfalles baden liebliche
Wassermoose ihre lebensgrünen Blättchen, und wo nur ein Tröpflein
Himmelstau den starren Felsen benetzt, da umkränzen zarte Gräschen
und Moose und genügsame Flechten die öden Riffe. Selbst in den
düsteren, kühlen Domen überhängender Felsen, wohin kein Strahl
der Sonne dringt, sind die Wände mit Moosen und Flechten ge-
schmückt. In den grünen Teppichen, welche den feuchten Waldgrund
bedecken, schlingen unzählige gesellige Moospflänzchen ihre zierlichen
Blätter brüderlich ineinander, um in die große Harmonie des Lebens
zum Lobe des Ewigen einzustimmen.
3. Genügsam in ihren Bedürfnissen, unermüdlich in ihrem ein-
trächtigen, bescheidenen Zusammenwirken, vereinen sie ihre kleinen
unscheinbaren Kräfte zu einem unschätzbaren Dienste im Haushalte
der Natur.
Die Moosdecke schützt den Bergwald und die benachbarten
Fruchtgefilde vor dem Ausdorren durch die Angriffe der Sonne und
des Windes; sie entlocken wie ein mächtiger Saugschwamm den vor-
überziehenden Wolken ihre Feuchtigkeit und ziehen wie eine Schar
von anbetenden Seelen den Segen des Himmels herab, indem sie den
Boden der Erde in beständigen Verkehr setzen mit der Schatzkammer
der Atmosphäre.
Fällt der Regen in Strömen auf die Berglehne nieder, so fängt
das Moosgewebe die Fluten des Himmels auf, bricht ihre Gewalt,