1884 -
Wismar
: Hinstorff
- Autor: Schraep, J.
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch, Lehrbuch
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bringen oft Früchte und erreichen ein erstaunlich hohes Alter. Die
Tanne kommt selten vor 30 bis 40 Jahren zur Blüte; die Kiefer
hingegen schon mit 10 bis 12 Jahren. Ihre Wachstumshöhe er-
reichen Kiefer und Fichte mit 80 bis 100 Jahren, während die
Tanne die Zeit ihres Wachstums viel länger ausdehnt. Die Jahres-
ringe der Buche werden in der Regel erst mit 150 bis 200 Jahren
vermindert. Es sind viele Beispiele eines geschichtlich nachweisbaren
außerordentlich hohen Alters einzelner Bäume bekannt. Unter den
alten Linden ist die berühmteste diejenige zu Neustadt am Kocher in
Württemberg, die schon im Jahre 1276 von der Stadt-Chronik als
„der große Baum von der Heerstraße" erwähnt wird und wahrschein-
lich ein Alter von nahezu 1000 Jahren hat. Eine alte Eiche bei
Breslau von sehr großem Stammumfange wird auf 700 Jahre ge-
schätzt. Der Rosenstock am Dome zu Hildesheim soll der Sage nach
von dem Kaiser Ludwig dem Frommen „gepflanzt sein und ist dar-
nach über 1000 Jahre alt?) Auf dem Ölberge bei Jerusalem stehen
Ölbäume, die ein Alter von 2000 Jahren erreicht haben. Alle diese
Bäume werden aber an Alter durch den Californischen Mammuth-
baum und den Affenbrotbaum, im heißen Afrika und in Ostindien
wachsend, übertroffen. Von dem ersteren wurde auf Befehl der Re-
gierung in neuerer Zeit ein Stamm gefällt, und man zählte an ihm
nahe an 4000 Jahresringe, während man das Alter eines Stammes
der letzteren Art im westl. Afrika (Senegambien) auf 5000 Jahre
schätzte. — Was könnte so ein alter Baum nicht alles erzählen, was
hat er nicht alles erlebt. Wie unzähligen Tieren hat er Schutz
und Obdach in seinem weiten, grünen Hause gewährt! Und wo sind
alle die Menschen geblieben, die unter seinem Schatten geruht hahen?
Der alte Riese hat sie alle, alle überlebt. Wenn aber auch kein
Blitzstrahl ihn träfe, kein Sturmwind ihn zerstörte, oder keines Men-
schen Hand ihn fällte: endlich kommt doch auch seine Zeit! — Klein
war sein Ursprung. Vor vielen hundert Jahren senkte sich ein
Samenkorn in den Boden, daraus erwuchs ein Stämmchen, so schwach,
daß ein Knabe es auszureißen imstande war. Aber seine Wurzeln
sogen die Nahrung des ihn umgebenden Erdreichs ein, und seine
Blätter tranken von dem Tau des Himmels. So wurde er im
Laufe der Jahre ein Riesenbaum, der den Stürmen und Wettern
Jahrtausende hindurch trotzen konnte.
*) In Norddeutschland sind zwei Eibenbäu me (Taxus) wegen ihres hohen
Alters berühmt. Der eine Eibenbaum, 1500 Jahre alt, steht auf dem Gehöfte
des Erbpächters Hallier in Mönchhagen bei Rostock. Alljährlich kommen
Naturfreunde, oft von weit her, um diesen Baum zu bewundern, der vor Jahren
nahe daran war, von Forstes wegen weggenommen zu werden. Prof. Röper in
Rostock, der sich, seit er ihn gesehen hatte, ganz besonders für diesen Prachtbaum
interessierte, wandte sich dieserhalb an den verstorbenen Großherzog und rettete ihm
das Leben. Die andere — nicht so alte — Eibe befindet sich im Garten des
Herrenhauses zu Berlin. Nur das ehrwürdige Alter des herrlichen Baumes
hat es verhindert, daß man seinen Platz nicht längst schon zu Bauten benutzte.
(Anm. d. Vers.)