1889 -
Braunschweig [u.a.]
: Wollermann
- Autor: Schulze, Hermann, Kahnmeyer, Ludwig
- Auflagennummer (WdK): 8
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
- Schulbuchtyp (WdK): Schülerbuch
- Schultypen (WdK): Volksschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Niedere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Realienkunde
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): koedukativ
- Konfession (WdK): offen für alle
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52. §?rte6rt<f¿ Wilhelm Iv. 1840—1861.
1 Zugend. Friedrich Wilhelm, der älteste Sohn Friedrich Wilhelms Iii., lernte
frühzeitig das Unglück kennen. Nach der unglücklichen Schlacht bei Jena und Auerstädt
(1806) mußte er mit seiner Mutter und seinen Geschwistern erst nach Königsberg,
später sogar nach Memel fliehen. Als Jüngling zog er mit in den Befreiungskrieg.
Bei Groß-'Görschen vernahm er zuerst den Donner der Schlacht. 1814 nahm er auch
leil an dem Siegeseinzuge in Paris.
2. Gebuvlstcrgsferev in Ucrvetz. Gewöhnlich feierte er als König seinen Ge-
burtstag in Paretz, wo seine Eltern ehemals so gern geweilt hatten. Die Bauern und
Tagelöhner im Dorfe freuten sich schon das ganze Jahr aus diesen Tag, an welchem
alle 2 Jahre sämtliche Schulkinder von Kopf bis zu Fuß neu eingekleidet wurden.
An den niedrigen Fenstern des einfachen Herrenhauses standen dann Männer, Frauen
und Kinder in dichter Menge und schauten mit freudestrahlenden Blicken in den Saal,
wo das königliche Paar mit seinen Gästen an der Tafel saß. In der Regel trat dann
der König heraus und reichte den armen Tagelöhnerjungen mit freundlichem Scherze
ein Glas Wein; die Königin Elisabeth aber verteilte Kuchen an die kleinen Mädchen,
und heller Jubel belohnte diese königliche Leutseligkeit.
3. Aas Zcrhv 1848. Fast in ganz Europa herrschte damals eine Mißstimmung
zwischen Fürst und Volk. Die Franzosen verjagten im Februar 1848 ihren König
und errichteten wieder eine Republik. Dieser aufrührerische Sinn verpflanzte sich auch
nach Deutschland. In Berlin fanden des Abends Zusammenrottungen statt, die man
erst mit Hilfe des Militärs zerstreuen konnte. Dadurch zog dieses den Haß des Volkes
ans sich. Am 18. März erließ Fr. Wilh. Iv. ein Schriftstück, worin er dem Volke eine
neue Staatsverfassung versprach. Darüber erfreut, zog das Volk am Nachmittage
jubelnd auf den Schloßplatz, um dem Könige zu danken. Plötzlich fielen 2 Schüsse;
niemand wußte, woher sie gekommen. „Wir sind verraten!" schrie das Volk, und als
nun auch noch eine Abteilung Kavallerie vorrückte, um den Platz zu säubern, griff es
zu den Waffen. In wenigen Stunden waren alle Straßen durch Barrikaden gesperrt
und Häuser und Fenster mit Bewaffneten besetzt. Nun folgte ein 14stündiger, blutiger
Straßenkampf, der die ganze Nacht andauerte. Von diesem Blutbade aufs schmerz-
lichste berührt, gab der König Befehl zum Abzüge des Militärs und willigte in die
Errichtung einer Bürgerwehr. — Während dieser bewegten Zeit stockte Handel und
Wandel. Die wohlhabenden Familien verließen Berlin; die Armen aber litten Not;
denn es fehlte an Verdienst. Erst allmählich wurde die Ruhe in Berlin wieder her-
gestellt.
4. Ablehnung dev Knifevkvone. In Frankfurt a. M. waren damals die
deutschen Volksvertreter versammelt, um Gesetz und Recht des Volkes zu beraten.
Endlich beschloß man, an die Spitze Deutschlands einen Kaiser zu setzen. Friedrich
Wilhelm Iv., König von Preußen, war der Erwählte. Über 30 Mitglieder der Ver-
sammlung begaben sich nach Berlin, ihm die Botschaft zu überbringen. Der König
empfing die Abgesandten im Rittersaale des königlichen Schlosses; aber jeder war aufs
höchste überrascht, als der König die Krone ablehnte. Er wollte die Krone nicht aus
den Händen des Volks, sondern nur im Einverständnisse mit den Fürsten annehmen.
5. Verfassung. Im Jahre 1850 gab der König seinem Lande eine neue Verfassung,
die noch heule im großen und ganzen zu Recht besteht. Als der König den Eid auf diese
Verfassung leistete, schloß er seine Rede mit den Worten: „Ein freies Volk unter einem
freien Könige, das war meine Losung seit Io Jahren, das ist sie heute und soll sie bleiben,
so lange ich atme." Nach dieser Verfassung ist der König der höchste Beherrscher des Lan-
des, ihm zur Seite stehen die beiden Kammern: das Herrenhaus und das Haus der Ab-
geordueten. Jenes setzt sich aus den königlichen Prinzen, den Vertretern der Großgrund-
besitzer, der großen Städte und der Universitäten zusammen; dieses besteht aus den Ver-
tretern des Volks, welche alle 5 Jahre neu gewählt werden. Beide Kammern bildert dey
Kahumeyer u. Schulze, Realten huch A. (I. Geschichte.) tz