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1. Für Oberklassen - S. 112

1893 - Altenburg : Bonde
112 wie ihn der Dichter sich wünscht, wenn er singt: O daß ich tausend Zungen hätte und einen tausendfachen Mund! Jedes Blatt hat nament- lich auf seiner unteren Seite eine Unmasse kleiner, länglicher Löcher, die sogenannten Spaltöffnungen, welche wie ein zur Aufnahme des Bissens geöffneter Mund aussehen. Von Zähnen ist natürlich in einem solchen Munde nichts zu spüren; denn hier handelt es sich nicht um das Zer- malmen harter Knochen oder festen Brotes, sondern um das Verschlucken lauter flüssiger Speisen, nicht um Essen, sondern um Trinken. Nun weißt du, warum die Blätter nicht wie Kugeln, Würfel oder Walzen gestaltet sind, sondern breite Flächen bilden: sie sollen auf allen Punkten mit der sie umgebenden Luft in Berührung kommen und aus ihr so viel Nahrung schlucken und an sie so viel Lebenslust abgeben, als nur immer möglich ist. Wann gefällt dir der Baum besser, im Sommer, oder im Winter? Allemal im Sommer. Und warum? Weil er da im vollen Schmucke vor uns steht. Die Blätter sind ja nicht bloß die Lunge und der Mund, sie sind auch das Kleid der Pflanze. Bei uns Menschen dienen die Kleider oft dazu, Häßliches zuzudecken, bei den Pflanzen offenbaren sie nichts, als Schönheiten. Wie ziert doch das Blatt durch den Reichtum seiner Formen, durch die Mannigfaltigkeit seiner Verbindungen, durch den steten Wechsel von Ruhe und Bewegung, vor allem aber durch seine Farbe! Diese ist je nach der Jahreszeit verschieden. Hellgrün im Frühlinge, färbt sich das Blatt im Laufe des Sommers dunkler, und im Herbste erscheint der Wald, als ob der Färber seine ganze Kunst und ein gutes Teil seiner Farben an ihm versucht hätte. Dort prangt eine Birke im hellsten Gelb, und während ihr Nachbar, der Ahorn, just wie der Busch, in welchem der Herr dem Moses erschien, in rotem Feuer strahlt, hat hinter ihm die Buche schon angefangen, ihr braunes Winterkleid anzuziehen. Dieser Wechsel der Farbe rührt von der Einwirkung des Lichtes her. Betrachten wir ein Blatt unter einem starken Vergrößerungsglase, so stellt es sich keineswegs als eine feste Masse dar, sondern als ein Gewebe, das aus vielen Zellen besteht. In den meisten derselben findet sich ein in der Regel heller, farb- loser Saft, und nur in einzelnen, zerstreut liegenden Zellen entdecken wir winzige Kügelchen oder Körnchen. Bei Pflanzen, welche in Kellern oder anderen dunkeln Orten gewachsen sind, sehen diese Körperchen schmutzig weiß aus, nehmen aber, dem Lichte ausgesetzt, nach und nach die gewöhn- liche grüne und später die rote, gelbe oder braune Farbe an. Sie sind so klein und stehen so dicht bei einander, daß uns das Blatt, mit bloßen Augen angesehen, im ganzen als grün erscheint. Aus eben diesem Einflüsse des Lichtes ist es auch zu erklären, daß die der Sonne zugewandte obere Blattfläche in den meisten Füllen dunkler gefärbt ist, als die der Erde zu- gekehrte untere Seite. Licht ist überhaupt eines von den Stücken, welche mit wenigen Ausnahmen die Pflanzen zu ihrem Bestehen und Gedeihen nötig haben, daher denn auch das Blatt in den meisten Fällen seine größte Fläche dem Lichte zuwendet. Unter unseren Waldbüumen verlangen das meiste Licht die Blätter der Kiefer und namentlich der Birke; bei dieser decken sich die Blätter nicht, sondern hängen einzeln und frei, dem Lichte nach allen Seiten hin ausgesetzt; am wenigsten Licht brauchen die Blätter der Buchen, Tannen und Fichten.
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