1893 -
Altenburg
: Bonde
- Hrsg.: Runkwitz, Karl
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
180
173. Der Lebenslauf eines Hasen.
Der Geburtsschein, welchen der Hase vorzeigt, weist auf einen
Tag im Märzmonate als auf die Zeit, in welcher er zur Welt ge-
kommen ist; sein Heimatsschein aber giebt als Geburtsort einen
Busch im Walde oder eine Vertiefung im Sturzacker an. Altes
Gras, Moos, oder auch ein Rest noch nicht verwitterten Strohes
dienten ihm und seinen zwei, drei Geschwistern als Pfühl und
Windel, der Himmel war die allen gemeinsame Decke.
Wenn ein Mensch, der gleich bei der Geburt in das Glück
bis über die Ohren gesetzt wurde, in seinem späteren Leben von
Armut und allerlei Not heimgesucht wird, so sagen die Leute
wohl: ,,Das haben sie diesem auch nicht an der Wiege gesungen.“
Bei dem Hasen gilt dies Wort nicht: denn was ihn auch an Leid
in künftigen Tagen treffen mag, unerwartet und unbekannt kommt
es ihm nicht; das Ungemach ist vom Anfange an sein Kamerad
Hasen.
gewesen. Kaum hatte er angefangen, des Lebens sich zu freuen,
als der kalte Märzenwind mit wildem Schneegestöber über die Flur
dahin fegte oder gar mit etlichen Hagelkörnern probierte, wie dicht
der grau- und gelbwollige Pelz des Neugebornen sei. Ein Glück
für ihn, dass dies in der ersten Woche seines Daseins geschah,
wo die Mutter ihn noch mit ihrem Leibe wärmte und schützte.
Acht Tage nach der Geburt geht sie, unbekümmert um ihre Jungen,
der Speise und dem Vergnügen nach. Eine Rabenmutter sorgt
besser und länger für ihre Kinder, als eine Häsin. Allerdings ge-
schieht es hin und wieder, dass auch eine Hasenmutter ihre Kleinen
gegen Krähen und Raben verteidigt; allein solche Beispiele von
Mutterliebe und Muttermut sind seltene Ausnahmen. Und doch
ist die Häsin immer noch die Zärtlichkeit selbst im Vergleich mit
dem Hasen. Findet dieser ein Nest, so kratzt, rauft und ohrfeigt er
die Häschen, dass sie nicht selten an den Misshandlungen sterben.