1893 -
Altenburg
: Bonde
- Hrsg.: Runkwitz, Karl
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
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Selbst in die Büchsen der Apotheker läßt es sich schicken und
wandert von da in die Krankenhäuser, um als Arzenei den Tod zu
vertreiben, wenn es geht.
Als Wetterpropheten kennst du das Quecksilber schon aus Nr. 157.
Aber es weiß auch besser, als du, wie warm es ist, und während es als
Wetterprophet manchmal ein Schalk ist und Regen ankündigt, wenn
Sonnenschein kommt, so täuscht es als Wärmemesser niemals. Als
solcher hängt er vor den Fenstern mancher Leute in der Gestalt einer
feinen Glasröhre, welche oben geschlossen ist und unten in eine Kugel
ausläuft. In der Kugel und in einem Teile der Röhre befindet sich
Quecksilber; das steigt oder fällt, je nachdem es warm oder kalt ist. Ein
an der Glasröhre angebrachtes langes Brettchen mit gleich weit von
einander liegenden Strichen oder Graden, eine sogenannte Skala, zeigt,
wie groß die durch die Wärme hervorgebrachte Ausdehnung des Queck-
silbers ist. Fängt es im Anfange des Winters an zu frieren, so sinkt
das Quecksilber bis zu einem Punkte, der mit einer Null bezeichnet ist
und Gefrierpunkt heißt, und bei harter Kälte sinkt das Quecksilber noch
tiefer hinab. Im hohen Sommer dagegen dehnt es sich soweit aus, daß
Ls hoch über dem Gefrierpunkt steht. Hält man das Thermometer in
ein Gesäß mit siedendem Wasser, so steigt das Quecksilber bis zu einem
Punkte, den man Siedepunkt nennt und der nach der Einteilung der
Skala in verschiedene Grade mit 80, 100, 210 bezeichnet wird. Den
Wärmegrad der Luft im Zimmer oder im Freien bezeichnet man mit dem
Worte „Temperatur". Man nennt diese hoch, wenn das Quecksilber
mehr dem Siedepunkte, und niedrig, wenn es sich mehr dem Gefrierpunkte
nähert.
189. Was der Wind mit sich bringt.
Der Wind ist ein guter Hausvater, er bringt den Seinen immer
etwas mit aus den Ländern, die er durchreist hat. Die Geschenke sind
freilich sehr verschieden, je nach den Ländern, von denen er zu uns kommt,
er kann nichts anderes mitbringen, als was er dort findet. Kommt er
aus Norden zu uns, so hat er im nördlichen Eismeere eine längere Be-
kanntschaft mit den Eisbären gemacht; das ist eine kalte Gesellschaft, und
er hat sich dabei auch eine gute Portion Kälte eingesteckt. Damit fährt
er über Schweden und Norwegen und kann da von seinem Mitgebrachten
wenig absetzen; sie selber haben Kälte genug und könnten ihm noch ab-
geben. So kommt er zu uns und schüttet über uns seine kalte Gabe aus.
Die kalte Luft, die er mitbringt, ist natürlich auch dicht und schwer und
macht ihr Gewicht in der steigenden Quecksilbersäule des Barometers be-
merklich.
Kommt der Wind aus Nordosten und Osten zu uns, so hat er
seine Reise über Sibirien und Nordrußland gemacht. Da ist auch die
Kälte viel wohlfeiler, als die Wärme, und er bringt uns noch genug kalte
und fchwere Luft mit. Zugleich ging dort fast seine ganze Reise zu Lande,
nirgends ein Meer, aus dem er sich einmal satt trinken konnte, er kommt
daher durstig und trocken zu uns. Hängen etwa von früher her noch
einige Wolken am Himmel, so saugt er sie schnell auf, daß der ganze
Himmel klar und heiter wird; denn die trockne Luft kann eine große