1893 -
Altenburg
: Bonde
- Hrsg.: Runkwitz, Karl
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
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4. Dem Tambour will der Wirbel
Nicht unterm Schlägel vor,
Als nun Andreas Hofer
Schritt durch das finstre Thor; —
Andreas, noch in Banden frei,
Dort stand er fest auf der Bastei,
Der Mann vom Land Tirol.
5. Dort soll er niederknieen,
Er sprach: „Das thu' ich nit!
Will sterben, wie ich stehe,
Will sterben, wie ich stritt,
So wie ich steh' auf dieser Schanz;
Es leb' mein guter Kaiser Franz,
Mit ihm sein Land Tirol!"
6. Und von der Hand die Binde
Nimmt ihm der Korporal;
Andreas Hofer betet
Allhier zum letzten Mal;
Dann ruft er: „Nun, so trefft mich
recht!
Gebt Feuer! — Ach! wie schießt
Ihr schlecht!
Ade, mein Land Tirol!"
250. Der Übergang über die Beresina.
In den Dnieper ergießt sich auf dessen rechter Seite ein Fluß, die
Beresina. An sich ist er nicht bedeutend; aber er bildet ans beiden Seiten
breite und tiefe Moräste, die man nur auf einzelnen Brücken überschreiten
kann. Wurden.diese von den Russen zerstört, oder nur stark besetzt, so
war der ganze Überrest des französischen Heeres verloren. Wirklich hatten
die Russen die Absicht, hier dem ganzen Trauerspiel ein Ende zu machen.
Während Kutusoff und der Kosakenhetman Platoff von hinten drängten,
rückten Tschitschagoff von Süden und Wittgenstein von Norden schnell
heran, an der Beresina zusammenzutreffen und Napoleon den Übergang
zu wehren. Als dieser am Flusse ankam, sah er zu seinem Entsetzen, daß
der Übergangspunkt von den Russen bereits besetzt sei. Mit Gewalt war
hier nichts auszurichten; aber er nahm zur List seine Zuflucht. Erstellte
sich, als wollte er eine Brücke schlagen lassen, während er an einer andern
Stelle, die nur wenig bewacht wurde, in größter Stille wirklich eine solche
zimmern ließ. Die ganze Nacht wurde gearbeitet; aber auch jetzt noch
hätten einige russische Kanonen hingereicht, den Bau zu zerstören. Dies
erwartete auch Napoleon und hielt sich selbst für verloren. Allein Tschi-
tschagoff bildete sich ein, Napoleon werde weiter unterhalb übergehen, ließ
seine Truppen abziehen, und — Napoleon war gerettet. Das war freilich
für diesen ein großes Glück; aber die Brücke war nur für das Fußvolk
eingerichtet; schnell ließ er noch eine zweite für das Geschütz, die Wagen
und die wenigen Reiter bauen, und am 27. November gingen er und
seine Garden über.
Bis so weit ging alles gut, aber nun kam das Schreckliche. Sobald
man die Garden übergehen sah, drängten sich alle übrigen von allen
Seiten herbei, sich an sie anzuschließen, so daß in einem Augenblicke eine
tiefe, breite und verwirrte Masse von Menschen, Pferden und Wagen den
schmalen Eingang zur Brücke belagerte. Die vordersten, von den nach-
folgenden gedrängt, von den Wachen zurückgestoßen, oder vom Flusse auf-
gehalten, wurden erdrückt, mit Füßen getreten, oder unter die Eisschollen
hinabgestoßen. Aus diesem ungeheuren Hansen erhob sich bald ein
dumpfes Summen, bald ein lautes Geschrei, das von Wehruf und von
gräßlichen Flüchen unterbrochen wurde.