1893 -
Altenburg
: Bonde
- Hrsg.: Runkwitz, Karl
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
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An die älteste Schwester schloß sich der kleine Fritz auf das engste
an, und es ist begreiflich, daß sie ihm schon durch die Macht des Umgangs
näher trat, als die später gebornen „Schwestern. Sie hatte aber auch an
Gestalt und Charakter eine große Ähnlichkeit mit dem Bruder und war
auch von den Eltern hoch geschützt und geliebt.
Im Jahre 1765 schickte der regierende Herzog von Württemberg
den Vater als Werbeoffizier nach der Reichsstadt Schwäbisch Gmünd und
befahl ihm, mit seiner Familie im Dorf und Kloster Lorch, als dem
nächsten Württembergischen Grenzorte, zu wohnen. Dadurch wurde der
Knabe im sechsten Jahre aus dem lachenden Neckarthale in die ernste
Stille eines von Nadelhölzern umstellten Wiesengrundes versetzt. Das Dorf
Lorch liegt am Fuße des Hügels, den schon auf der Staffel eines Tannen-
gebirges die Klostergebäude krönen, von deren Mauern auf einem Vor-
sprunge eine uralte Linde Wache hält. Der Hohenstaufen mit einem Ge-
folge von Bergen blickt nach dem Kloster herüber, das zahlreiche Gräber
jenes erlauchten Geschlechtes umschließt. In der Tiefe schlängelt sich der
Remsfluß freundlicheren Gegenden und segensreichen Rebenanpflanzungen
zu. In dieser anziehenden Gegend wurden von dem jungen Schiller in
Gesellschaft der Schulgenossen, der geliebten Schwester und auch wohl der
Eltern häufige Spaziergänge gemacht. Der Vater deutete ihm die ehr-
würdigen Trümmer des Stammschlosses der Hohenstaufen, und mit einer
vedeutenden Anschauung zogen die ersten großen historischen Vorstellungen
in sein Gemüt ein. Friedrich durfte den Vater in die Übungslager, zu
den Förstern im Walde und weiter auf das schöne Lustschloß Hohenheim
begleiten. Begierig hörte er ihn von seinen Feldzügen erzählen. Jenes
Kloster, welches die Gräber der Hohenstaufen bewahrt, ward von den
beiden Geschwistern häufig besucht, gewiß nicht, ohne ernste Eindrücke und
ahnungsvolle Schauer in den empfänglichen Kinderherzen zurückzulassen.
Er ging gerne in Kirche und Schule, bisweilen jedoch versäumte er sie,
um einen Ausflug in die nahen Berge zu machen. Auch auf eine Kapelle
des Kalvarienberges bei dem nahe gelegenen Gmlind, zu welcher der Weg
durch die Leidensstationen führte, wandelten sie gern.
Ohne Zweifel hat der dreijährige Aufenthalt an diesem Orte und
ein ununterbrochener Verkehr mit der freien Natur in ihm die Neigung
zum Landleben, das Gefühl für Natnrschönheiten und den Hang zur Ein-
samkeit, so wie den Sinn für Unabhängigkeit zuerst erweckt und begründet.
Als neunjähriger Knabe verließ Schiller mit seinen Eltern Lorch und
wurde nun auf die lateinische Schule in Ludwigsburg, km neuen Wohn-
sitze der Eltern gebracht, wo er bald einer der besten Schüler ward.
Zweiundzwanzig Jahre alt, verließ Schiller nach sehr gutem Examen
die Karlsakademie, wo alle Mitzöglinge sich nach und nach vor seinem
hervorragenden Geiste beugen und ihn selbst seiner Gemütlichkeit und Be-
scheidenheit wegen lieben gelernt hatten, und wurde als Regimentsarzt in
Stuttgart angestellt. Jetzt dichtete er viel, aber nicht immer mit Glück;
und da er sein Amt darüber zu vernachlässigen schien, so wurde ihm bald
verboten, andere als medizinische Arbeiten drucken zu lassen. Unser Dichter
kam dadurch in eine eben so unbequeme, als drückende Lage; seine Ein-
nahmen waren gering, und der Druck früherer poetischer Erzeugnisse hatte
ihm bereits bedeutende Kosten verursacht. Unter solchen Verhältnissen