1893 -
Altenburg
: Bonde
- Hrsg.: Runkwitz, Karl
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
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Haltes waren die Leibkosaken heran und stürzten sich auf den Feind, indem
ihre Geschütze mit fürchterlicher Wirkung denselben beschießen. Immer
mehr Reiter und Kanonen der Verbündeten langten unterdessen auf dem
Kampfplatze an; ausgesetzt ihren wütenden Anfällen, lösten sich die
französischen Reiterreihen immer mehr, bis sie, in einen wirren Knäuel
zusammengedrängt, auf ihre eigenen Geschütze zurückgeworfen wurden. Die
Mitte der Verbündeten war gerettet. Als nun der Abend hereinbrach,
und mit ihm der Kampf allmählich aufhörte, standen beide Heere so
ziemlich noch, wie sie am Morgen gestanden hatten; aber die Verbündeten
waren doch weitaus im Vorteile: Jork hatte die Franzosen bis dicht an
Leipzig herangeworfen; Napoleon hoffte, das böhmische Heer werde als
geschlagen abziehen, und es wich nicht von der Stelle; dazu kam, daß
Napoleon alles aufgeboten hatte, was in seiner Macht stand, während die
Verbündeten mit Sicherheit auf die Ankunft von 100 000 frischen Soldaten
rechnen konnten.
Sonntag den 17. Oktober war fast auf allen Punkten Ruhe. Dieser
Tag war für Napoleon ein verlorener Tag. Durch Unterhandlungen mit
den Verbündeten hatte er gehofft, den Kops noch aus der Schlinge ziehen
zu können. Als er aber abends 7 Uhr noch immer keine Antwort auf
seine Anerbietungen erhalten hatte, wurde es ihm klar, daß er sich auf
eine zweite Schlacht und seinen Abzug gefaßt machen müßte. Sie wurde
am 18. geschlagen. Napoleon hatte seine Soldaten näher an Leipzig
herangezogen, die Verbündeten standen in einem weiten Halbkreise um
ihn herum. Schlag 8 Uhr griffen sie ihn von allen Seiten zugleich an.
Der furchtbarste Kampf dieses Tages war der Kampf um Propstheida.
Dieses Dorf war gleichsam der entgegengestemmte Fuß; Napoleon mußte
es behaupten, wenn die Straße nach Leipzig nicht verloren gehen sollte.
Es wurde mit großer Tapferkeit von den Russen und Preußen an-
gegriffen und mehrmals erstürmt; aber mit einem Heldenmute, den selbst
die Feinde bewundern mußten, von den Franzosen wieder erobert. Vor
dem Dorfe lagen ganze Berge von Leichen, so daß die Angreifenden
förmlich über die Haufen der Toten hinweg klettern mußten. Endlich
verbot Schwarzenberg, weil er die Schlacht bereits für gewonnen ansah,
jeden ferneren Angriff auf Propstheida.
Nachmittags zwischen 2 und 3 Uhr gingen die Sachsen, die seit
langer Zeit nur mit Widerwillen unter Napoleon gefochten hatten,
4—5000 Mann stark in geschlossenen Reihen, mit fliegenden Fahnen und
klingendem Spiele angesichts der Franzosen zu den Verbündeten über.
Die Russen, zu denen sie kamen, herzten, drückten, küßten ihre neuen
Kameraden. Als eine Fahne Preußen ihrer ansichtig wurde, hielt sie an;
der Oberst rief seiner Mannschaft zu: „Kinder, singt einmal! Singt doch:
Den König segne Gott! und ihr, Hoboisten, blaset dazu!"
In den letzten Stunden der Schlacht raste über den weiten Strich,
in welchem die Heere sich gegenüber standen, das Feuer von vielleicht
anderthalbtausend Geschützen. Einzelne Schüsse vernahm man nicht mehr;
ununterbrochen rollten die Salven; es schien ein einziges langes Donner-
gebrüll. Man konnte das eigene Wort nicht hören, die Erde erbebte,
und die in Ruhe haltenden Pferde zitterten fortwährend, und der Schaum
trat ihnen vor die Nüstern.
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