1893 -
Altenburg
: Bonde
- Hrsg.: Runkwitz, Karl
- Sammlung: Realienbuecher Kaiserreich
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Als die Nacht das weite Leichenfeld bedeckte, befand sich Napoleon
noch auf dem Hügel bei der Stötteritzer Windmühle. Er hatte seinem
ersten Adjutanten die Anordnung des Rückzugs mitgeteilt, und dieser
diktierte sie an einem Seitenwachtfeuer einigen anderen Adjutanten. Rings-
um herrschte tiefe Stille, Napoleon war, überwältigt von den Anstren-
gungen des Tages, auf einem hölzernen Schemel eingeschlafen. Nachlässig
zusammengesunken, die Hände schlaff im Schoße ruhend, saß er da mitten
auf dem weiten Blutfelde, das durch die Flammen von zwölf brennenden
Dörfern und durch unzählige Wachtfeuer taghell erleuchtet war. Die
Anführer standen düster und stumm um das Feuer, die zurückziehenden
Haufen rauschten in einiger Entfernung vorüber. Nach einer Viertel-
stunde erwachte Napoleon und warf einen großen verwunderungsvollen
Blick im Kreise um sich her. Dann stand er auf und traf gegen 9 Uhr
in Leipzig ein; hier nahm er wie durch einen Spott Gottes das letzte
Nachtlager im Gasthofe zum Könige von Preußen.
Des andern Morgens in der neunten Stunde, als man bereits
schießen hörte, brach Napoleon auf, um Leipzig zu verlassen. Die Straßen
waren mit Flüchtlingen, Kanonen, Wagen voll gepfropft. Er kam in ein
so arges Gedränge, daß seine Begleiter mit flachen Hieben in die Menge
schlugen, um Schritt für Schritt Platz zu schaffen. Eine ganze Stunde
verging, ehe Napoleon vom Petersthore bis an das äußere Ende der
Stadt gelangte. In sich gekehrt, öfters an ein Fläschchen riechend, ward
er von dem Strome der Flüchtigen fortgeschoben. Eine Stunde darauf
erstürmte die Königsberger Landwehr unter ihrem Major Friccius das
äußere Grimmaische Thor, und nicht lange nachher drangen die Ver-
bündeten auch an anderen Orten in die Stadt. Gegen zwei Stunden
hatte der Kampf in den Vorstädten gedauert, ehe die Verbündeten in
ihnen völlig Herren waren. Die Franzosen hatten sich mit rühmlicher
Ausdauer geschlagen, mehrmals angesetzt, die Eingedrungenen wieder hin-
aus zu werfen; die Gaffen und Gärten waren voll Blut und Leichen.
Da trat ein Umstand ein, welcher dem weiteren Kampfe ein Ende machte.
Es ging stark auf 1 Uhr, als durch die furchtsame Voreiligkeit eines
französischen Feuerwerkers die Elsterbrücke in die Luft flog und damit
20000 Franzosen der einzige Rückzug abgeschnitten wurde. Was noch
an alten Banden der Zucht gehalten hatte, riß nun; alles löste sich ans.
Tausende warfen ihre Waffen weg und eilten der Elster zu, viele hundert
aber fanden in dem angeschwollenen Wasser ihr Grab, unter ihnen der
polnische Fürst Poniatowski, vor zwei Tagen erst von Napoleon zum
Marschall ernannt.
Noch während die Trommeln den Sturmmarsch wirbelten, während
des Geknatters der Gewehre auf dem Fleischerplatze und des Wersens von
Granaten durch die Franzosen hielten Alexander und Friedrich Wilhelm
ihren Einzug. Der Jubel des Volkes überstieg alle Grenzen. Alle Fenster,
selbst die Dächer waren mit Menschen besetzt; tausendstimmiges Hurra
und Vivat wurde ihnen von allen Seiten zugerufen; aus allen Fenstern
wurde ihnen mit Hüten und weißen Tüchern zugewinkt, sogar mit Blumen
geworfen.
Die Schlacht der Schlachten war zu Ende; sie hatte auf beiden
Seiten 100 000 Mann gekostet. Erbeutet hatten die Verbündeten gegen